10.Sexualität+11.Erwecke dein Herz

Das zehnte Tor




Öffne dich für deine Sexualität



Hunger und Appetit – auf Essen, auf das Leben, auf die Befriedigung deiner sexuellen Triebe – sind etwas genauso Natürliches für dich wie die Wolken für den Himmel od die Wellen für das Meer. Wenn du die drängenden Kräfte deiner Triebe unterdrückst od ausbeutest, bereitest du den Weg für Zwangsverhalten, fixe Ideen und schuldbeladene Geheimnisse. Du sollst nicht in deinen Lebensenergien schwelgen od sie verleugnen, sondern sie beobachten, akzeptieren und klug in die richtigen Kanäle lenken. Indem du dich für deine Sexualität öffnest, feierst du deine menschliche Natur.



Feiere das Leben



Alle Tiere ausser dem Menschen wissen,

dass die wichtigste Aufgabe des Lebens darin besteht, es zu geniessen.

(da kann man geteilter Meinung sein)

SamuelButler



Landkarte:

Befreie deine Lebensenergien



Erleuchtete Sexualität hat weniger mit den Raffinessen des Liebesspiels zu tun als mit deiner Fähigkeit zu Intimität und Freude in allen Lebensbereichen. Im Licht eines spirituellen Lebens betrachtet, ist Sexualität deine grundsätzliche Einstellung zu den Freuden des Lebens, deine Verbindung zur Quelle deiner kreativen Energien, dein leidenschaftlicher Verkehr mit dem Leben, deine Verbundenheit mit dem GEIST durch die Arme eines geliebten Menschen.



Die reine Triebbefriedigung, bei der das erotische Feuer durch gedankenlose, pulsierende sexuelle Stimulation geschürt wird, hat sicherlich auch ihren Platz und ihren Zeitpunkt im heiligen Kreis einer festen Beziehung. Doch in diesem Kapitel geht es um mehr als blosses erotisches Spiel – nämlich darum, wie man sich die Möglichkeit eröffnen kann, wirklich zu lieben, Freude und Liebe zu erschaffen, das Herz und die Hitze der Leidenschaft, Sex und Geist miteinander verschmelzen zu lassen – über den zerklüfteten Gebirgskamm der Ekstase ins Reich der Seele zu gelangen.



Das sind vielleicht ziemlich hochgesteckte Ziele, wenn man bedenkt, dass das sexuelle Leben der meisten Menschen nicht sonderlich inspirierend ist. Was wir als Sex bezeichnen, ist häufig nicht mehr als eine ziemlich mittelmässige Paarungsroutine, die uns eine gewisse Befriedigung verschafft: Man tanzt den horizontalen Tango, stimuliert sich gegenseitig sexuell – als Ablenkung od um sich abzureagieren, als Suche nach Trost od einfach nur, ums sich in Schlaf zu wiegen.



Obwohl die meisten Menschen sich für sexuell erfahren, ja sogar raffiniert halten, ist unser sexuelles Raffinement oft nur eine Pose od Illusion. Unsere Libido zu befreien, uns von der Last unserer kulturellen Traditionen zu lösen, unser Leben zu verändern, ist nicht so einfach, wie es uns auf den ersten Blick vielleicht vorkommt. Dich für deine Sexualität zu öffnen bedeutet nicht, häufiger od seltener Geschlechtsverkehr auszuüben, es geht vielmehr darum, einen erleuchteten Ausdruck für die Sexualität zu finden, der mit deiner persönlichen und spirituellen Weiterentwicklung im Einklang steht. Denn wo bleibt die Befriedigung, wenn man nicht innerlich wächst? Trotz vieler Orgasmen – auch wenn wir unzählige Male den Zyklus von Begierde und Befriedigung durchlaufen haben – fühlen wir uns am Ende vielleicht trotzdem immer noch nicht als ganze Menschen. Dieses Gefühl der Unzufriedenheit kommt daher, dass nur wenige Menschen Sexualität als spirituelle Praxis betrachten und betreiben.



Manche sexuell besonders aktive Menschen – Frauen ebenso wie Männer – deren sensible sexuelle Natur wie eine Rose ist, versteckt in einer Schachtel in einem Zimmer im Turm einer Festung od in einer Eishöhle. Sie fürchten sich insgeheim vor ihrer animalischen Natur, dem Kontroll- und Gesichtsverlust, den die sexuelle Intimität erfordert.



Erst wenn du deine Sexualität voll und ganz akzeptierst, kannst du auch deine menschliche Natur akzeptieren und dich endlich als ganzer Mensch fühlen. Die Sexualität – ein elementarer Trieb und Impuls – drängt uns zur Vereinigung mit dem Partner und kann uns dadurch zur Vereinigung mit Gott hinführen.



Dich für deine Sexualität zu öffnen ist natürlich kein Freibrief dafür, dich selbst od andere Menschen sexuell zu benutzen. Es bedeutet vielmehr, dein wahres Wesen zum Ausdruck zu bringen (solange du andere Menschen damit nicht verletzt) und voll und ganz zu akzeptieren, dass du Liebe verdient hast. Natürlich weißt du das schon – aber weißt du es auch wirklich zu würdigen? Akzeptierst du dich selbst tatsächlich 100%ig so, wie du bist? Liebst du dich? Vielleicht gibt es Probleme, an denen du noch arbeiten musst – vielleicht hast du im Bereich der Partnerschaft und Sexualität noch nicht zu Ganzheit und harmonischem Gleichgewicht gefunden. Wenn du dich selbst so akzeptierst, wie du bist, und dich von allen Werturteilen über deine eigene Unvollkommenheit löst, heilst du jene Bereiche, in denen dein Leben festgefahren ist, und deine gefangene Lebensenergie kann wieder frei fliessen.



Nun, da du 9 Pfeile in deinem Köcher gesammelt hast – an jedem Tor einen – bist du endlich bereit, dich für die Sinnlichkeit deiner Seele zu öffnen, und zwar auf eine Art und Weise, die du dir vielleicht noch gar nicht richtig vorstellen kannst. Du wirst deinem Partner od deiner Partnerin beim Sex viel aufrichtiger, spielerischer, ausdrucksvoller, lebendiger und aufmerksamer gegenübertreten als bisher. Vielleicht nicht bei jedem Geschlechtsverkehr (manchmal ist man schliesslich auch müde od fühlt sich nicht ganz auf der Höhe) – doch im Laufe der Zeit, wenn du Vertrauen zu deinem Geist, deinem Körper und dem Leben selbst entwickelst, wirst du die Möglichkeit der sexuellen Vereinigung immer intensiver ausschöpfen.



Beim Durchgang durch das 10.Tor geht es um verschiedene Themen:



 Die Illusion sexuellen Raffinements

 Den Konflikt zwischen sexueller Begierde und unserer Gesellschaft

 Den gesunden Menschenverstand und deinen sexuellen Schatten

 Deine sexuelle Identität und die beiden Gehirnhälften (eine Möglichkeit, Ganzheit und harmonisches Gleichgewicht zu erreichen)

 Realismus und Idealismus

 Das Dilemma zwischen Puritaner und Hedonist (Triebbefriedigung und Selbstverletzung)

 Sexualität und spirituelles Leben (ein Kulturexperiment) und schliesslich und endlich sexuelle Praktiken, mit deren Hilfe man Fleisch und Geist zu einer Einheit verschmelzen kann.



Doch ehe wir beginnen, wollen wir erst einmal eine kleine Pause einlegen, um eine emotional-sexuelle Bestandesaufnahme zu machen.



Test: Deine Einstellung zur Sexualität



Denke einmal über folgende Fragen nach. Das kann einen Prozess der Selbsterforschung in Gang setzen, sodass du aus den anschliessenden Informationen grösseren Nutzen ziehst:



1. Hast du irgendwelche sexuellen Probleme, Phantasien, Wünsche od Sorgen, die du deinem Ehepartner od Lebensgefährten bisher noch nicht anvertraut hast? (Natürlich musst du deinem Partner nicht unbedingt alles verraten, was dir durch den Kopf geht; aber falls du etwas verheimlicht hast – was waren deine Gründe dafür?)

2. Hast du manchmal sexuelle Phantasien, die um einen Menschen des gleichen Geschlechts kreisen? Findest du das in Ordnung?

3. Hast du dich jemals gefragt od dir Sorgen darüber gemacht, ob du vielleicht nicht männlich (od weiblich) genug bist?

4. Würdest du dich in sexueller Hinsicht eher als Puritaner od eher als Geniesser bezeichnen? (Hältst du dich an die ungeschrieben Gesetzt, od lebst du einfach deine Triebe aus?) Hältst du eines von beiden für besser? Warum?

5. Könnte es sein, dass dein Ehe- od Lebenspartner dich in sexueller Hinsicht gern anders hätte, als du bist?

6. Hättest du deinen Ehe- od Lebenspartner in sexueller Hinsicht gern anders, als er ist?

7. Liegen diese Unterschiede eher im physischen, emotionalen od geistigen Bereich?

8. Langweilt der Sex manchmal? Was könntest du tun, damit er dich mehr befriedigt?

9. Würdest du dich als heterosexuell, homosexuell od bisexuell bezeichnen? (Sprichst du aus Erfahrung od nur aufgrund deiner Phantasien und Gefühle?)

10. Leidest du an sexuellen Schuld- od Schamgefühlen? In welcher Hinsicht?

11. Welche sexuellen Aktivitäten magst du besonders und warum?

12. Vor welchen sexuellen Handlungen würdest du zurückschrecken? Warum?

13. Hast du ein grösseres od geringeres Bedürfnis nach Orgasmen als dein Ehepartner od Lebensgefährte?

14. Masturbierst du? Warum/Warum nicht?

15. Falls du verheiratet bist od in einer festen 2erBeziehung lebst: Warst du währen dieser Zeit schon einmal mit einem verheirateten Mann/Frau sexuell intim? Was hast du daraus gelernt? Würdest du es wieder tun?

16. Falls du keinen Partner hast: Warst du schon einmal mit einem verheirateten Mann/Frau sexuell intim? Was hast du daraus gelernt? Würdest du es wieder tun?

17. Hält dich etwas davon zurück, deine sexuelle Identität voll und ganz zu akzeptieren – all deine Gedanken, Wünsche und Phantasien, den gesamten Ausdruck deiner Sexualität? Wen ja: Was ist es?



Zunächst einmal solltest du allein über diese Fragen nachdenken. Doch da Sexualität (normalerweise) ein Ausdruck der Intimität zwischen 2 Menschen ist, möchtest du anschliessend vielleicht ein paar dieser Fragen – od andere damit zusammenhängende Themenkomplexe – mit deinem Partner diskutieren.



Öffne dich und werde wieder ein richtiger Mensch



Die 1.Hürde, die dich daran hindert, mit dem ganzen Spektrum deiner sexuellen Möglichkeiten Kontakt aufzunehmen, ist der Makel, die (häufig verborgene) Schande, die der Sexualität anhaftet. Das macht es vielen Menschen sehr schwer, offen, ehrlich und in aller Deutlichkeit über Sex zu sprechen.



Wenn ich in meinen Vorträgen Fragen zum Thema Ernährung, Geld od Religion zur Diskussion stelle, scheint es den Leuten überhaupt nichts auszumachen, darüber zu reden. Doch sobald das Gespräch auf das Thema Sexualität kommt – wenn ich meine Zuhörer frage, ob sie masturbieren, wie sie sich in sexueller Hinsicht verhalten od was für Phantasien sie haben – spüre ich förmlich, wie sich die Energie im Raum verändert. Jeder spürt es. Nur nervöses Gelächter durchbricht hier und da die peinliche Stille. Das liegt daran, dass unser Sexualleben – ja sogar die Frage nach unseren sexuellen Phantasien – für uns ein sehr emotionsgeladenes Thema ist. Wir haben Angst od scheuen uns davor, offen über Sexualität zu sprechen – manchmal sogar mit unserem eigenen Partner.



Nehmen wir einmal an, eine verheiratet, heterosexuelle Persönlichkeit des öffentlichen Lebens – zB ein hochrangiger Politiker – erzählt seinem Therapeuten von sexuellen Phantasien, in denen er mit anderen Männern, minderjährigen Jungen od Mädchen od gar Tieren Geschlechtsverkehr ausübt. Nehmen wir weiter an, dass ein Bericht über dieses Gespräch in die Medien gelangt. Damit wäre seine politische Karriere, die er sich vielleicht durch langjährige Arbeit im Staatsdienst aufgebaut hat, irreparabel geschädigt – und das nur wegen ein paar blosser Phantasien, die an und für sich ja völlig harmlos sind.



Vielleicht bezweifelst du, dass das tatsächlich so schreckliche Konsequenzen hätte. Aber denke nur einmal daran, was mit dem ehemaligen amerikanischen Generalstabsarzt JocelynElders passiert ist, nur weil er die Unverfrorenheit besass, darauf hinzuweisen, dass Selbstbefriedigung auch ihre positiven Seiten hat – vor allem, das die Sicherheit anbelangt – und dass Kinder das wissen sollten. Oder erinnere dich an die Schlagzeilen und den Spott, als der frühere Präsident JimmyCarter – wohl einer der gütigsten und moralischsten amerikanischen Präsidenten der letzten Jahrzehnte – so ehrlich war zuzugeben, dass auch er lüsterne Gedanken und Gefühle hatte. Dieses persönliche Eingeständnis eines völlig normalen menschlichen Phänomens hat seinem Ruf bleibenden Schaden zugefügt.



Im sexuellen Bereich geht viel mehr als bei den Themen Essen od Geld das Gespenst der Moralität um, das anklagend seinen knochigen Finger ausstreckt, als würden wir schon allein dadurch zu moralischen Menschen, dass wir unser Sexualleben so gestalten, wie andere es für richtig halten. Aber warum engen unsere Anschauungen über Sex unser Leben so sehr ein? Die Antwort liegt in dem Sozialisierungsprozess, den wir in unserer Jugend durchlaufen.



Als kleine Kinder haben wir ungeniert unsere Genitalien (und auch alle anderen Körperbereiche, in denen Berührungen angenehm sind) berührt und dabei ein ganz natürliches Vergnügen empfunden. Wir kannten weder Scham noch Schuldgefühle noch Verlegenheit – so lange, bis wir diese Gefühle von unseren Eltern od anderen Menschen lernten, die einen ähnlichen Sozialisierungsprozess durchlaufen hatten. Und als wir älter wurden, brachten die verschiedensten Faktoren – von der Religion über das Fernsehen bis hin zu den gesellschaftlich anerkannten Wertmassstäben normalen und abnormalen Verhaltens – unsere sexuelle Identität noch mehr durcheinander.



Sex ist etwas, was ich eigentlich nicht verstehe . . .

Ich stelle immer diese Sex-Regeln für mich selber auf, und dann übertrete ich sie gleich wieder.

JDSalinger



Sexualität und Sozialisation



Der Tod mag ein schwieriger Übergang zu sein, aber er kann nicht viel schlimmer sein als die Pubertät. Wenn man in die Pubertät kommt, weicht die sexuelle Unschuld der Kindheit den Problemen und Widersprüchen des Jugendalters. Man ist in einem hormonellen Expresszug eingesperrt, der einen mit halsbrecherischem Tempo ins Erwachsenendasein befördert: 2 Realitäten kollidieren miteinander.



Die eine Realität ist das eindringliche Gebot der Gesellschaft, deine erwachsene Sexualität, die in dir auf und ab tigert wie ein gefangenes Raubtier, unter Kontrolle zu halten, zu unterdrücken und zu sublimieren. Eingeimpft wird es dir von deinen Eltern, deiner Kirche od anderen Religionsgemeinschaften und kulturellen Traditionen. Die andere Realität ist die wachsende Lebensenergie und sexuelle Begierde, die in dir erblüht wie eine Frühlingsblume od tobt wie ein Waldbrand. Du fällst dem Krieg zwischen Körper und Glaube, Begierde und Moral, Lust, Scham und Gewissensbissen zum Opfer.



Dieser Konflikt lebt in allen zivilisierten Männern und Frauen überall auf der Welt ständig weiter; doch in der Sturmflut der Pubertät überfällt er uns gerade dann, wenn wir am wenigsten darauf vorbereitet sind. Manche Jugendliche erhalten Hilfe und gute Ratschläge von ihren Eltern und Erziehungsberechtigten, doch den meisten werden nur Regeln vorgehalten. Trotzdem fordert der Körper früher od später sein Recht, und dann fühlen wir uns schuldig, weil wir uns gut fühlen.



Religion, Sexualität und ich



Keiner von uns – ob wir nun einer Glaubensgemeinschaft angehören od nicht – kann sich dem Einfluss religiöser Traditionen auf seine innere Einstellung völlig entziehen. Manche unserer sexuellen Scham- od Schuldgefühle – unserer widersprüchlichen Empfindungen im Hinblick auf Sexualität und Spiritualität – entspringen den religiösen Traditionen, nach deren Lehren und Glaubenssätzen der Geist höher steht als das Fleisch, Buss wertvoller ist als Vergnügen und Idealismus besser als Realismus.



Die religiösen Dogmen sind keineswegs falsch, sie sind nur nicht realistisch. Und das sollen sie auch gar nicht sein. Der Sinn der Religion besteht darin, unsere höchsten Ideale und Möglichkeiten zum Leben zu erwecken, hohe Anforderungen an unsere Seele zu stellen, das Höchste und Beste in uns zutage zu fördern. Die Religion ist ein Aufruf an uns, menschliche Reife zu erlangen.



Aus religiöser od spiritueller Sicht betrachtet mag es vielleicht tatsächlich am besten sein, enthaltsam zu leben und seine sexuellen Energien so lange in andere kreative Beschäftigungen umzukanalisieren, bis man verheiratet ist. Aber das tun wir unvollkommenen menschlichen Wesen eben meistens nicht. Sogar vielen Priestern und Nonnen, die ihr ganzes Leben ihrer göttlichen Berufung geweiht haben, fällt es oft schwer, den Idealen ihrer Kirche zu entsprechen.



Gib mit Keuschheit und Selbstbeherrschung – aber bitte noch nicht jetzt.

HeiligerAugustinus



Gleichgültig, welchem Glauben wir angehören – wir müssen uns klarmachen, dass Sexualität an sich weder etwas Moralisches noch etwas Unmoralisches ist. Solche Ideen sind nur eine Erfindung des Menschen. Es gibt keine allgemeingültigen sexuellen Verhaltensregeln. Jede Kultur und jede Epoche hat ihre eigenen Ansichten und Vorstellungen davon, was in sexueller Hinsicht richtig und falsch ist. Oder wie BertrandRussell es einmal so treffend formuliert hat: „Sunde ist etwas Geographisches.“ Laut einer anthropologischen Studie, die ich vor Jahren einmal gelesen habe, übern die Eingeborenen der Trobriand-Inseln völlig unbefangen in aller Öffentlichkeit Geschlechtsverkehr miteinander aus. Aber in der Öffentlichkeit zu essen, halten sie für ungehörig und eine Schande.



Selbst wenn wir die Zwänge religiöser Dogmen und angeblicher Sünden und Schanden überwunden haben, müssen wir uns noch mit einem anderen Faktor auseinandersetzen, der sich gegen eine natürliche, ausgewogene, heilige Sexualität wehrt – unserem eigenen Verstand.



Sexuelle Intimität und beiden Gehirnhälften



Die grosse kosmologische Wahrheit und das grosse kosmologische Symbol Chinas – vor allem der taoistischen Philosophie – ist die Vorstellung von Yin und Yang, dem dynamischen Gleichgewicht der Gegensätze. Diese Lebenssicht beruht auf einer genauen Beobachtung der Welt des Kosmos – des Wirkens der Naturgesetzt. Ob du nun Mann od Frau bist –



Yin ist das empfänglich (weibliche) Prinzip:

 Die rechte Gehirnhälfte hingegen wird oft mit weiblichen Charaktereigenschaften wie

 Weichheit, Sanftheit, Introvertiertheit, Empfänglichkeit, Passivität, Stille und dem Emotional-Intuitiven assoziiert.



Yang das aktive (männliche) Prinzip:

 Die linke Hälfte deines Gehirns wird häufig traditionellen männlichen Eigenschaften wie

 Härte, Extravertiertheit, Aktivität, Durchsetzungsvermögen, Aggressivität und linearem, logischem, deduktivem Denken in Verbindung gebracht.



Ganzheit und Gleichgewicht:

Das Beste von beiden Geschlechtern kombinieren



Es steht fest, dass sowohl Männer als auch Frauen Eigenschaften besitzen, in denen sich beide Gehirnhälften – die rechte und die linke – widerspiegeln. Dennoch sind die linkshirnigen Eigenschaften eher männlich und die rechtshirnigen eher weiblich. Darüber sind sich fast alle Menschen einig. Ist das auch wieder eines der typischen Geschlechterklischees? Vielleicht. Ein heikles Thema, bei dem man leicht aneckt? Zweifellos. Gilt diese Vorstellung für alle Männer und Frauen? Wohl kaum. Doch wenn du beide Gehirnhälften miteinander zu vereinen und ins Gleichgewicht zu bringen beginnst, erweiterst du den Horizont deiner Geschlechterrolle und kannst sogar über sie hinauswachsen. Dann kannst du jederzeit sowohl Yin- als auch Yang-Qualitäten in dir zum Leben erwecken. Du wirst ein ausgewogener, ganzer Mensch – zur Härte ebenso fähig wie zur Weichheit, zur Extraversion ebenso wie zur Introversion. Du kannst aktiv od rezeptiv sein – ja nach den Erfordernissen des Augenblicks. In manchen Situationen setzt du dich durch, in anderen bist du aufnahmebereit und empfänglich. Du kannst klar und logisch denken, aber auch deine sensiblen, emotionalen und intuitiven Qualitäten zum Vorschein bringen, wenn es notwendig ist.



Wenn du deine beiden Gehirnhälften integrierst und ein ganzer Mensch wirst, bleibst du zwar in anatomischer Hinsicht trotzdem weiterhin Mann od Frau, aber dein Charakter und deine Eigenschaften entwickeln sich weiter und erreichen einen Zustand der Androgynie. Das Webster’sAHDictionary definiert Androgynie als „weder eindeutig männlich noch eindeutig weiblich – zB in Kleidung, äusserer Erscheinung und Verhalten“. Dann kannst du dir sowohl männliche als auch weibliche Eigenschaften und Fähigkeiten erschliessen und sie verkörpern.



Ich bin nur ein Mensch, der im Körper einer Frau gefangen ist.

ElaineBoosler



Im Kampf der Geschlechter spiegelt sich eindeutig der Kampf wider, der in jedem von uns tobt: der Konflikt aller Männer und Frauen mit ihrem gegengeschlechtlichen Schatten. Erst wenn die männliche und die weibliche Hälfte unseres Gehirns einen Zustand harmonischen Gleichgewichts erreichen, können wir wirklich auf andere Menschen zugehen und sie akzeptieren – nicht nur als Lebensgefährten und Geschlechtspartner, sondern als Brüder, Schwestern und Mitmenschen in einer spirituellen Gemeinschaft.



Wenn du bisexuell bist,

verdoppeln sich automatisch deine Chancen für eine Verabredung am Samstagabend.

WoodyAllen



Sexuelle Differenzierung und Zweifel



In den meisten früheren Gesellschaften, wo ihre Muskelkraft die Männer dazu prädestinierte, auf die Jagd zu gehen und in den Krieg zu ziehen, und die Frauen aufgrund ihrer Fähigkeit, Kinder zu gebären, den Nachwuchs aufzogen und sich um Heim und Herd kümmerten, war eine ausgeprägte Polarität zwischen aktiv und rezeptiv, männlich und weiblich ganz natürlich und auch notwendig. Doch heute setzen sich diejenigen, die versuchen, extrem männlich od weiblich zu wirken und sich so zu verhalten, nur unnötigen Problemen und Ungewissheiten aus.



Die alten Kriterien und Fragen, was einen „richtigen Mann od eine feminine Frau ausmacht, existieren immer noch, obwohl sie längst nicht mehr sinnvoll sind. Schliesslich brauchen wir nur einen Blick in unsere Unterhose zu werfen, wenn wir uns unseres Geschlechts vergewissern wollen. Leider werden Menschen, die Eigenschaften des anderen Geschlechts an den Tag legen, in vielen Kulturen verspottet. Die Tatsache, dass Homosexualität in unserer Gesellschaft so sehr gefürchtet und verunglimpft wird, ist nur ein Beweis dafür. Um deine eigene, einmalige Sexualität 100%ig akzeptieren zu können, statt dich an die anerkannten Verhaltensklischees anzupassen, darfst du nicht davor zurückschrecken, dich mit solchen Fragen auseinanderzusetzen.



Gesunder Menschenverstand und sexuelle Orientierung



Es kommt ziemlich häufig vor, dass Heterosexuelle sich beim Masturbieren gleichgeschlechtliche Partner vorstellen, während die sexuellen Phantasien Homosexueller oft um das andere Geschlecht kreisen – falls wir überhaupt so etwas wie Phantasie besitzen. Unsere Phantasien machen uns nicht zu Homosexuellen, Bisexuellen od Heterosexuellen, sie machen uns lediglich zu sexuellen Wesen. An der Schwelle zu einem neuen Jahrtausend sollten wir eigentlich wichtigere Sorgen haben als die sexuelle Orientierung unserer Mitmenschen. Wie od mit wem ein Mensch seine Sexualität auslebt, erscheint mir nicht so wichtig wie die Frage, ob er liebevoll, sensibel od engagiert ist – fähig, zu geben und zu nehmen. Jede Form des sexuellen Ausdrucks kann etwas Intimes, ja sogar Heiliges sein – od ein wahlloser, flüchtiger, unverbindlicher Freizeitsport, ja sogar eine lieblose Form des Leidens, bei der man nur ausgenutzt wird (od selbst andere ausnutzt) – eine Sucht nach erotischen Endorphinen, eine rasche sexuelle Adrenalinspritze.



Aufgrund unserer Sozialisation haben wir vielleicht viele sexuelle Geheimnisse – verborgene Impulse, Wünsche od Phantasien. Das ist unser sexueller Schatten. Viele Menschen haben sogar vor ihrem intimsten Partner (od gerade vor ihm) sexuelle Geheimnisse. Dabei geht es häufig um sexuelle Phantasien, Wünsche od Ängste. Ein wichtiger Aspekt sexueller Erleuchtung besteht darin, unseren sexuellen Schatten ins Licht des Bewusstseins zu heben und uns voller Mitgefühl so zu akzeptieren, wie wir sind.



Test:

Deine sexuellen Geheimnisse



Um dir über dein verborgenes sexuelles Leben klar zu werden, überlege dir einmal eine od mehrer Phantasien, die du nur ungern jemanden anvertrauen würdest. Und dann beantworte dir folgende Fragen:



1. Warum möchtest od musst du deine sexuellen Phantasien geheim halten?

2. Was fürchtest du, was die anderen Leute sonst von dir denken könnten? Ist es möglich od vielleicht sogar wahrscheinlich, dass andere Menschen die gleichen Phantasien od Wünsche haben?

3. Kann deine Phantasie einem anderen Menschen schaden od ihn verletzen? Wenn ja: wen, warum und wie?

4. Glaubst du, dass an irgendeiner Phantasie etwas Schlechtes sein kann? Wenn ja, was? Wenn nicht: warum nicht?

5. Wenn du deinem Partner von deiner sexuellen Phantasie erzähltest, was würde er dann deiner Ansicht nach tun? Würde sie ihn beunruhigen? Warum? Was könntest du dabei gewinnen, wenn du sie ihm anvertraust? Was könntest zu verlieren?

6. Ist es deine innere Anspannung od eine Einschränkung deiner Freiheit für dich, dieses Geheimnis für dich zu behalten? Beeinträchtigt es das vertraute Verhältnis zu deinem Partner?



Das bedeutet nicht, dass du deinem Partner alle Phantasien anvertrauen od dein inneres sexuelles Leben vor ihm ausbreiten sollst od musst. Dieser Test zur Selbsterforschung soll dir vielmehr helfen zu verstehen, was in dir vorgeht, wenn du aus Angst od Schamgefühl sexuelle Geheimnisse hast.



Die gleichen Überlegungen kannst du auch auf dein wirkliches Sexualleben anwenden und über die Geheimnisse nachdenken, die du in diesem Bereich vielleicht vor deinem Partner hast; sie könne sich vom Harmlosen (heimliche Selbstbefriedigung) bis hin zu gravierenden Dingen erstrecken. Überlege dir, was du gewinnst und was du verlierst, indem du deinem Partner diese Dinge nicht verrätst (od doch verrätst) – und auch, was dein Partner dadurch gewinnen od verlieren könnte. Gib dir Mühe, dich in beide Seiten hineinzudenken.



Nun, da du ein paar Auswirkungen deiner kulturellen Vorprogrammierung, religiöse Sozialisation und anderer Faktoren auf dein Sexualleben kennen gelernt hast, erscheint es dir vielleicht höchste Zeit, offen über deine sexuellen Geheimnisse nachzudenken und Licht in diesen Schattenbereich zu werfen. Wir wollen mit 2 weit verbreiteten Geheimnissen beginnen: Selbstbefriedigung und sexuelle Phantasie.



Selbstbefriedigung in den 90er Jahren –

Sünde od Geschenk Gottes?



Aus Büchern und Zeitschriften zum Thema Sexualität wissen wir, dass Selbstbefriedigung etwas ganz Normales und Weitverbreitetes ist, selbst unter verheirateten Männern und Frauen. Warum ist es dann trotzdem immer noch so vielen Menschen peinlich? Masturbierst du? Wenn nicht – liegt es daran, dass man es dir verboten hat? Weil du dabei ein ungutes Gefühl hast? Weil du glaubst, dass Gott dich deswegen bestrafen od zurückweisen wird? Und wenn du masturbierst und einen Partner hast od verheiratet bist, macht es dir dann nichts aus, mit ihm darüber zu sprechen, od behältst du es lieber für dich?



Da einige der wichtigsten Religionen Millionen von Menschen auf der ganzen Welt die Selbstbefriedigung verboten haben – eine sexuelle Praktik, die angenehm, leicht durchführbar und absolut ungefährlich ist – lohnt es sich schon, diesem Thema einen od 2 Absätze zu widmen.



In dem Film „Los Angeles – ich liebe dich“ bewundert ein Mann den Busen seiner Freundin und sagt: “Wenn ich solche Brüste hätte, würde ich den ganzen Tag zu Hause bleiben und an ihnen herumspielen.“ Und dann gibt es ja noch die uralte Frage: „Warum lecken Hunde sich zwischen den Beinen?“ Die Antwort lautet: „Weil sie es können.“ (Würdest du es nicht auch tun, wenn du es könntest?) Es macht Spass sich selbst sexuell zu stimulieren. Das bedeutet nicht, dass wir nun stundenlang nichts anderes mehr tun, aber wir sollten uns schon mit der Frage beschäftigen, warum wir eine so zwiespältige Einstellung zu einer eindeutig harmlosen Aktivität haben, die soviel Spass macht.



Früher verdammte man die Selbstbefriedigung (und die Homosexualität) als Verschwendung von Sperma, das einer Frau zur Fruchtbarkeit verhelfen könnte. Doch in unserer heutigen Welt der Bevölkerungsexplosion, wo AIDS, unerwünschte Schwangerschaften, Abtreibungen und kurzlebige sexuelle Abenteuer an der Tagesordnung sind, müsste man die Selbstbefriedigung eigentlich als harmlose, angenehme Methode schätzen, angestaute sexuelle Energie abzureagieren. Und in einer Ehe, in der ein Partner einen sehr starken Sexualtrieb hat und jeden Tag seinen Orgasmus braucht, während der andere nur einmal pro Woche das Bedürfnis danach hat, erfüllt sie ebenfalls einen sinnvollen Zweck.



Für Singles (od Verheiratete, die gerade auf Geschäftsreise sind) ist Selbstbefriedigung sicherlich sinnvoller, als sich in einer bar irgendeinem Partner für eine Nacht zu suchen, was unangenehme, unter Umständen sogar lebensgefährliche Konsequenzen haben kann. Natürlich ist Selbstbefriedigung kein Ersatz für eine liebevolle, enge Beziehung zu einem anderen Menschen, doch in bestimmten Situationen kann sie ein wahres Geschenk Gottes sein. Manche Wahrheiten gelten für immer und ewig. Andere sind lediglich willkürliche Dogmen, die nur bedingt und nur in einer ganz bestimmten Periode Gültigkeit haben; doch sobald die Zeiten sich ändern, sind sie nicht mehr relevant. Letzen Endes muss jeder Mensch sein eigenes Leben leben, frei von Idealismus, Schamgefühl od Dogmen, die unserer Ganzheit od unserer Realität nicht dienlich sind. Fürchte dich nie zu fragen: Warum? Und fürchte dich nie zu antworten: Warum nicht?



Sexuelle Phantasien



Für Männer oder Frauen mit ausgeprägtem Sexualtrieb od einem Hang zu häufig wechselnden Geschlechtspartnern ist es vielleicht besser, sich beim Masturbieren Sex mit vielen verschiedenen Partnern vorzustellen, als das tatsächlich auszuprobieren. Und da es für dein Unterbewusstsein keinen grossen Unterschied macht, ob du etwas tatsächlich mit deinen physischen Sinnen erlebst od es dir nur vorstellst, kannst du solche Bedürfnisse durch entsprechende Phantasien beim Masturbieren leicht befriedigen, ohne Komplikationen heraufzubeschwören od irgendjemanden zu verletzen.



Für die Kirche mag so etwas dem Ehebruch gleich kommen, doch ich halte sexuelle Phantasien für die empfehlenswertere Alternative. Wenn ich mir vorstelle, jemanden umzubringen, macht mich das noch lange nicht zum Mörder; wenn ich mir ausmale, ein Physiker zu sein, der den Nobelpreis gewinnt, macht mich das nicht zum Wissenschaftler; und wenn ich mir Sex mit einem Gorilla vorstelle, bin ich deshalb immer noch nicht pervers. Vielleicht wäre es besser, immer nur positive, glückliche, gesunde Phantasien zu haben. Aber wer entscheidet, was gesunde Phantasien sind? Nach welchen Kriterien? Und wie kann man seine eigenen Gedanken unter Kontrolle bringen?



Phantasien können nicht schaden, solange wir uns ihretwegen keine Sorgen machen, keine Schuldgefühle entwickeln und sie nicht zur fixen Idee werden lassen – und solange wir Phantasie nicht mit Realität verwechseln od in die Realität umsetzen. Wir neigen dazu unsere Phantasien mit wirklichem Verhalten zu verwechseln und uns dann Sorgen darüber machen, ob wir normal sind (als würde Normalität automatisch Sicherheit bedeuten und uns zu tugendhaften Menschen machen). Unser Verhalten kann durchaus abartig, pervers, unpassend od gar schädlich für uns und andere Menschen sein, doch im Reich der Phantasie ist alles erlaubt. Menschen, die ihre eigenen Phantasien od die anderer Menschen als schlecht abtun, sollten einmal darüber nachdenken, wo diese Vorstellung herkommt und ob sie einer eingehenden Prüfung wirklich standhält.



Von alle sexuellen Verirrungen ist Keuschheit vielleicht die merkwürdigste.

Remy deGourmont



Selbst wenn wir uns alle unsere sexuellen Geheimnisse offen eingestehen, wird es uns vielleicht trotzdem schwer fallen, zu einem erleuchteten sexuellen Gleichgewicht zu gelangen, und zwar einfach deshalb, weil wir bestimmte angeborene Neigungen haben. Im Bereich des Verhaltens und der Moral neigen viele Menschen entweder zum Puritanismus od zum Hedonismus – zu Selbstverleugnung od Genusssucht. Solange wir auf diesem Gebiet nicht den goldenen Mittelweg finden, ist sexuelle Erleuchtung für uns unerreichbar.



Das Dilemma zwischen Puritaner und Hedonist



Von allen Polaritäten in unserem Denken stehen der Puritaner und der Hedonist wohl in schärfsten Gegensatz zueinander. Und doch ist keiner von beiden dem anderen überlegen.



Puritanismus – die ständige Angst, dass irgendwo irgendjemand glücklich sein könnte

H.L.Mencken



Wenn du zu puritanischem Verhalten neigst, bringst du Opfer, arbeitest und versagst dir Vergnügungen, um langfristige Ziele zu erreichen, du bist tugendhaft, nimmst alles ganz genau und hältst dich an die Vorschriften. Du bemühst dich, gesund zu leben, aber auf Partys bist du vielleicht nicht gerade eine Stimmungskanone – falls du überhaupt hingehst.



Wenn du eher zu hedonistischem Verhalten neigst, lebst du für den Augenblick, für das Vergnügen, und bist deinen spontanen Impulsen und Neigungen nach. Dein Motto lautet: „Das Leben ist kurz, deshalb sollte man zuerst den Nachtisch essen.“ Von Puritanismus hältst du nicht viel. „Wenn man auf Sex, Fleisch, Zucker, Nikotin, Alkohol und Tanzen verzichtet, lebt man tatsächlich gar nicht länger“, meinst du vielleicht. „Es fühlt sich nur länger an.“



Bist du eher ein Hedonist od ein Puritaner? Kann man auch den goldenen Mittelweg gehen – das heisst, je nach Situation beide Lebenshaltungen zu ihrem Recht kommen lassen? Wenn du diese Frage auf den Bereich deiner Sexualität anwendest, ist das bereits der erste Schritt zu einem harmonischen Gleichgewicht. Probiere einmal folgende Übung aus, sie wir dir beim Bewusstmachungsprozess helfen:



Übung:

Der Puritaner und der Hedonist



Das folgende Rollenspiel macht nicht nur Spass, sondern wird dir auch Klarheit darüber verschaffen, ob du eher zum Hedonismus od zum Puritanismus neigst. Ausserdem bietet es dir eine Chance, spielerisch die andere Seite der Verhaltensskala auszuloten. Du brauchst dazu nur einen Partner, der bereit ist, sich 4 od 5 Minuten Zeit zunehmen:



 Das Drehbuch der Handlung: Stellt euch vor, dass ihr gemeinsam durch eine Wohngegend geht. Da ruft euch vom Fenster einer Villa jemand etwas zu und lädt euch ein, an einer Orgie teilzunehmen, die gerade in vollem Gang ist – mit lauter faszinierenden, begeisterten, lebenslustigen Gästen. Drinnen werdet ihr spärlich bekleidete od völlig nackte Menschen treffen, die sich hemmungslos ihrer Lust hingeben; aus einem Fenster fliegt Unterwäsche. Ihr hört Lachen, Jubelschreie und Lustgestöhn. Und nicht nur das: Diese Menschen geniessen die erlesensten Liköre und Zigarren, das feinste Gebäck, köstliche Schokolade und andere Süssigkeiten. Auch sonst werden hier alle sinnlichen Genüsse geboten, die man sich nur vorstellen kann.

 Du diskutierst mit deinem Partner darüber, ob ihr an dieser Orgie teilnehmen sollt od nicht. (Die Leute wollen, dass ihr entweder beide teilnehmt od gar keiner. Das macht es für dich noch wichtiger, deinen Partner von deinem Standpunkt zu überzeugen.)

 Ungefähr 2 Minuten lang spielst du nun die Rolle eines strengen Puritaners, während dein Partner die Rolle des ausschweifenden Hedonisten übernimmt. Jeder von euch beiden hat die Aufgabe, den anderen von seiner Meinung zu überzeugen, ob ihr an dieser Party teilnehmen sollt od nicht. Versetze dich 100%ig in deine Rolle hinein.

 Nach 2 Minuten tauscht ihr die Rollen und versucht wieder, den Partner von eurem jeweiligen Standpunkt zu überzeugen.



Ein Mensch, der eher zu puritanischer Enthaltsamkeit neigt, beschwört jetzt vielleicht das Schreckgespenst AIDS (od die Gefahr einer anderen Geschlechtskrankheit) herauf und führt die Gesetze der Moral, des guten Geschmacks und der Gesundheit ins Feld. Ein eher genussfreudiger Mensch schwört daraufhin wahrscheinlich, ein Kondom zu benutzen, und singt ein Loblied von Leidenschaft, Liebe und Lebensfreude. Sicherlich werden beide Parteien kreative Argumente finden.



Durch diese Übung bekommst du ein gutes Gespür dafür, welche der beiden Rollen dir mehr liegt. Wenn du deinem Partner insgeheim am liebsten zustimmen würdest, weißt du, auf welcher Seite du stehst. Natürlich kann es auch sein, dass du in sexueller Hinsicht ein Hedonist und im Hinblick aufs Essen und auf deine Gesundheit eher ein Puritaner bist – od umgekehrt. Auf jeden Fall werden die Erkenntnisse, die du durch diese Übung gewinnst, mehr Klarheit in dein Leben bringen. Die Lösung des Problems besteht darin, zu einem natürlichen Gleichgewicht zu finden, sodass du dich manchmal ungehemmtem (gesundem) Vergnügen und sexueller Lust hingeben kannst, in Situationen, wo es angemessen ist, hingegen lieber Selbstdisziplin und Willenskraft walten lässt. Wie steht es mit deinen sexuellen Verhaltensweisen und Wertvorstellungen? Verhältst du dich eher wie ein Puritaner od wie ein Hedonist?



Es gibt sowohl gesunde als auch kranke Puritaner und Hedonisten. Wenn du deinen angeborenen inneren Wert zu schätzen weißt, wirst du auf jeden Fall auf deine Gesundheit achten – ob du nun Hedonist od Puritaner bist. Wenn du kein hohes Selbstwertgefühl hast, wirst du eher ein ungesunder Hedonist od ein ungesunder Puritaner sein.

 Als gesunder Hedonist geniesst du das Leben, ohne jedoch Raubbau mit deiner Gesundheit zu treiben, du bist offen für Spass und Vergnügen und geniesst die Früchte des Lebens

 Als gesunder Puritaner hast du gelernt, die Befriedigung deiner Triebe und Bedürfnisse auf später zu verschieben, hast eine hohe Arbeitsmoral, wenn es darum geht, Zeile zu erreichen, und glaubst an den Grundsatz: „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“. Irgendwann wirst du die Früchte deiner Bemühungen und deiner Selbstdisziplin ernten können; aber du bist nicht zu streng mit dir, gönnst dir auch hin und wieder ein Vergnügen und verurteilst Hedonisten nicht.

 Als ungesunder Hedonist ist du zuviel, lässt dich wahllos auf ein riskantes sexuelles Abenteuer nach dem anderen ein, übertreibst mit Alkohol, Nikotin od anderen Drogen od frönst anderen selbstzerstörerischen od gesundheitsschädlichen Aktivitäten.

 Als ungesunder Puritaner verweigerst du dir alle Freude des Lebens (wie zB Tanzen, ein gelegentliches Dessert und ein intimes, ungehemmtes Sexualleben mit dem eigenen Partner) und bist womöglich auch noch stolz auf deine eigene Reinheit.



Manche Menschen gehen mit der Sexualität und mit dem Vergnügen ganz allgemein so um wie der Prediger, der jedes Mal, wenn er mit seiner Frau schlief, ans Beten dachte – und jedes Mal, wenn er betet, an Sex mit seiner Frau. Dieser Mann war niemals erfolgreich – weder als Puritaner noch als Hedonist. Und Gott konnte sich bestimmt auch keinen Reim auf dieses merkwürdige Verhalten machen. Das gilt für die meisten Menschen: Nur wenige von uns sind 100%ig lebensfrohe, von Schuldkomplexen freie Hedonisten od 100%ig disziplinierte Puritaner ohne alle Phantasien und Obsessionen. Das Pendel schwingt immer hin und her.



Wenn du dir die puritanischen od hedonistischen Seiten deiner Persönlichkeit bewusst machst, kannst du sie miteinander vereinbaren und ins Gleichgewicht bringen. Dadurch – und indem du den goldenen Mittelweg zwischen Masslosigkeit und Selbstverleugnung findest – kommst du dem Ziel, deine Sexualität beherzt, liebevoll und verantwortungsbewusst anzunehmen, einen Schritt näher. Die Lösung des sexuellen Dilemmas besteht nicht in einer einseitigen Entscheidung für Fleisch od Geist, sondern in der heilenden Umarmung und Integration von beidem. Das bringt dich der Erfüllung der Aufgaben des 10.Tores und dem Weg der Erleuchtung im Alltag wieder einen Schritt näher.



Vereinigung von Fleisch und Geist:

Die erhabenste sexuelle Praktik



Der Höhepunkt unserer sexuellen Entwicklung besteht darin, unseren Körper und unsere physischen Sinne mit unserem emotionalen und spirituellen Leben zu verbinden. Eine Methode, mit der sich diese sexuelle Vereinigung erreichen lässt, ist der Gebrauch tantrischer Praktiken.



Vergeistigte Sexualität:

Herz und Genitalien miteinander verbinden



Die meisten Menschen assoziieren Kung-Fu mit Kampfsport, doch in Wirklichkeit bedeuten diese Worte „kunstvolles Üben“ und beziehen sich auf alle möglichen Aktivitäten. Ebenso bringen viele Menschen Tantra ausschliesslich mit sexuellen Techniken in Verbindung. Doch tantrische Praktiken beschränken sich keineswegs nur auf die Sexualität. Tantra ist eine heilige spirituelle Übung, die die Grundbedürfnisse unseres Lebens, Sexualität, Ernährung, körperliche Betätigung und all unsere Sinne einschliesst. Sie ist weder Hemmungslosigkeit noch Selbstverleugnung, sondern lehrt uns den richtigen, ausgewogenen Umgang mit unserem sinnlichen Erleben, gelenkt von unserem höheren Selbst.



In der folgenden Übung wirst du die Quintessenz des tantrischen Yoga kennen lernen, indem du unter Einsatz deiner ganzen Aufmerksamkeit eine Bewusstseinsbrücke zwischen deinen Geschlechtsteilen, deinem Herzen und deinem ganzen Körper herstellst. Dieser Akt der Bewusstheit und Aufmerksamkeit steigert, bereichert und vertieft den Genuss der sexuellen Umarmung nicht nur und verleiht ihm eine ganz neue Dimension; gleichzeitig verklärt er die menschliche Sexualität zu einem Akt des Einswerdens, einer Art Gottesdienst. Du hältst nicht nur deinen Geliebten od deine Geliebte in den Armen, sondern du umarmst das Göttliche.



Du kannst diese Quintessenz des tantrischen Yoga in deinen sexuellen Beziehungen folgendermassen praktizieren: Wenn du das nächste Mal Geschlechtsverkehr ausübst (od masturbierst, falls du gerade keinen Partner hast), richte deine Aufmerksamkeit nicht ausschliesslich auf die Lustempfindung in deinen Genitalien, sondern konzentriere dich gleichermassen auf dein Herz, deine Geschlechtsteile und deinen ganzen Körper.



Wir alle sind zu diesem einfachen Akt fähig, unsere Aufmerksamkeit muss nur frei dafür sein. Nur allzu oft blockiert unsere Befangenheit unser Bewusstsein. Du kannst nicht deine ganze Aufmerksamkeit darauf richten, Genitalbereich, Herz und Körper zu integrieren, wenn du dabei gleichzeitig auf irgendwelche Bilder achtest, die an deinem inneren Auge vorüberziehen, od dich fragst, wie gut du im Bett bist, wie du aussiehst, was dein Partner von dir denkt und so weiter. Um wirklich aufmerksam sein zu können, musst du zunächst einmal frei von Gedanken werden. Dich für deine Sexualität zu öffnen erfordert (und fördert auch gleichzeitig) die Fähigkeit, den Verstand zu verlieren und zum Bewusstsein zu kommen.



Diese tantrische Praktik, Herz und Genitalien beim Geschlechtsverkehr miteinander zu verbinden, ist ein wichtiges Element der Erleuchtung im Alltag. Um diese Übung auch nur hin und wieder in dein Leben integrieren zu können, musst du deine Willenskraft einsetzen, Willenskraft und Gefühls-Aufmerksamkeit (od Aufmerksamkeit mit einer emotionalen, ja sogar andächtigen Komponente) dienen dazu, dein Herz zu erwecken. Das ist das Thema des nächsten 11.Tores, das dich nun bald erwartet.



Sex, Liebe und Willenskraft



Wenn einer von euch beiden – du od dein Partner – nur selten Lust auf Sex hat od wenn euch die Energie dazu fehlt, steht eurer Intimität etwas im Wege – dann ist irgend etwas nicht in Ordnung od aus dem Gleichgewicht geraten, was ihr in Liebe und beiderseitigem Verständnis gemeinsam besprechen und klären müsst. Doch bevor ihr euch in endlosen psychologischen Diskussionen und Analysen verliert (was das Beziehungsproblem, an dem ihr arbeitet, womöglich sogar noch verstärken kann), solltet ihr euch vielleicht erst einmal vornehmen – euch einfach dazu zu zwingen – ein bisschen öfter miteinander zu schlafen, selbst wenn einer von euch beiden od ihr alle beide keine Lust dazu habt.



In der orthodoxen jüdischen Tradition ist Freitagabend, der Beginn des Sabbats, der Zeitpunkt, an dem man vom Mann erwartet, dass er seiner Frau sexuelle Erfüllung schenkt. Wenn es in dieser Hinsicht irgendwelche Probleme gibt, müssen sie aufgearbeitet werden. Wenn bei diesem Umgang mit Sex auch Spontaneität zu fehlen schein, so liegt doch vielleicht eine grosse praktische Weisheit darin, dass 2 Menschen, die sich lieben, am Ende der Woche zusammenkommen, um ihre Intimität und ihre liebevolle Verbundenheit zu feiern. Ist das nicht besser, als nur dann mit deinem Partner zu schlafen, wenn dir zufällig gerade danach zumute ist?



Normalerweise meint man, dass man seine Willenskraft einsetzen muss, um nicht mit jemanden ins Bett zu gehen – nicht spontan seiner Begierde nachzugeben, sondern Selbstbeherrschung, Zurückhaltung od Enthaltsamkeit zu üben. Aber du kannst deinen Willen auch dazu einsetzen, selbst dann sexuell aktiv zu sein, wenn du gar nicht in der Stimmung dazu bist – als eine Art tantrische Übung. Sexuelle Intimität kann die verschiedensten Formen annehmen und für die verschiedensten Zustände stehen – von Lust über Geborgenheit bis hin zu Trost und Verbundenheit. Sexuelle Intimität ist auch eine Möglichkeit, Liebe zu erschaffen, die gegenseitige Zuneigung wiederzuerwecken und auszuleben.



Vielleicht bist du manchmal müde od ein bisschen verärgert darüber, was dein Partner gesagt od getan hat, und wendest dich körperlich von ihm ab. Ob dein Partner nun im Recht ist od nicht – wenn er sich Liebe, Zuneigung od einfach nur körperliche Befriedigung von dir wünscht, kannst du dich, statt ihn abzuweisen, auch überwinden und dich ihm freundlich, mitfühlend und verständnisvoll zuwenden. Erinnere dich dabei an die Gründe, warum ihr zum ersten Mal in Liebe zueinander gefunden habt. Diese liebevolle Berührung muss nicht unbedingt zum Geschlechtsverkehr führen, aber sie kann eine emotionale Kluft überbrücken, die sich zwischen euch aufgetan hat, und deinem Partner die ersehnte Gewissheit geben, dass er dir noch wichtig ist und dass du ihn noch liebst. Viele Menschen sagen, dass sie hin und wieder mit ihrem Partner schlafen, ohne in der Stimmung dazu zu sein, einfach weil er es von ihnen erwartet od weil er es sich wünscht. Aber wie oft tun wir das wirklich als Akt der Willenskraft und der herzlichen Zuneigung, wie oft heilen wir unsere Beziehung im Dienst am GEIST und in der Hingabe an den GEIST unseres Partners?



Liebe kann zu sexueller Intimität führen, umgekehrt kann sexuelle Intimität aber auch die Glut der Liebe neu entfachen. Selbst wenn du nicht unbedingt zum gleichen Zeitpunkt Lust auf Sex hast wie dein Partner, gehe trotzdem auf seinen Wunsch ein, und du wirst den Sinn der umgangssprachlichen Redewendung „Liebe machen“ begreifen. Manchmal dürfen wir beim Sex nicht an unser eigenes Vergnügen denken, sondern müssen ihn unserem Partner als eine Form der Heilung anbieten. Das ist ein spiritueller, tantrischer Akt des Dienstes an unserem Mitmenschen.



Streitet euch, wenn es sein muss. Aber versöhnt euch immer wieder, berührt und umarmt euch – in welcher Form auch immer – selbst, wenn ihr euch manchmal dazu überwinden müsst. Auf diese Weise wird das Band, das euch beide eint, mit der Zeit immer vollkommener werden. Einen Seelengefährten findet man nicht, man erschafft ihn sich.



Liebe, Begierde und sexuelle Verbundenheit



Manchmal isst du etwas, obwohl du eigentlich gar keinen Hunger hast. Wenn ein Mensch, den du liebst, etwas besonders Gutes für dich gekocht hat, isst du es vielleicht, um ihm einen Gefallen zu tun, obwohl du in Wirklichkeit keinen besonders grossen Appetit hast. (Vielleicht schmeckt es dir am Ende sogar, vielleicht auch nicht; aber es bleibt ein Akt der Gefälligkeit).



Ebenso übst du manchmal Geschlechtsverkehr aus, ohne wirklich den Wunsch danach zu verspüren. Wenn ein Mensch, den du liebst, Sex von dir will, schläfst du vielleicht mit ihm, um ihm einen Gefallen zu tun, obwohl du keine besondere Lust dazu hast. (Vielleicht macht es dir am Ende sogar Spass, vielleicht auch nicht; aber es bleibt ein Akt der Gefälligkeit).



Im täglichen Leben ist es besser, nur dann zu essen, wenn man Hunger hat, und nur dann Geschlechtsverkehr auszuüben (und einen Orgasmus zu erleben), wenn man das Bedürfnis danach verspürt. Natürlicher Hunger ist ein Ausdruck deines körperlichen Bedürfnisses nach Kalorien und Nährstoffe. Ebenso ist die natürliche sexuelle Begierde (nach einem Orgasmus) ein Ausdruck deines körperlichen Bedürfnisses, dich sexuell abzureagieren. Doch sich seiner Sexualität zu öffnen, bedeutet auch, seine sexuellen Aktivitäten der Herrschaft seines höheren Selbst zu unterstellen.



In manchen sexuellen Augenblicken konzentrierst du dich ausschliesslich auf dein eigenes Vergnügen, in anderen konzentrierst du dich ausschliesslich auf das Vergnügen eines anderen Menschen. Die meisten von uns haben ischer schon die Erfahrung gemacht, dass der beste Sex eine Kombination, ein Zusammenspiel von beidem ist, ein Tanz des eigenen Ichs mit dem anderen, bis beide miteinander verschmelzen. Nehmen ist gleichzeitig Geben, und Geben ist gleichzeitig Nehmen. Irgendwann gelangt ihr bei eurer geschlechtlichen Vereinigung an einen Punkt, wo es gar nicht mehr so wichtig, ja sogar nebensächlich ist, wer gerade der Gebende und werde Nehmende ist. Dieser Energiekreislauf entsteht, wenn 2 Menschen einander Liebe schenken, die Geschenk ihrer Berührungen, ihre Sensibilität und Zuneigung mit einander austauschen. Ist das letzten Endes nicht das Höchste, was man einem anderen Menschen geben kann?



Tantrische Liebespraktiken im täglichen Leben



Etwas über die Vorteile von Vergnügen und Lebensgenuss zu lesen und darüber zu sprechen, wie wichtig es ist, sich selbst zu lieben, ist eines. Aber gestattest du dir wirklich, das auch zu tun? In der folgenden Übung wirst du dir einen schönen Abend in der Stadt gönnen. Nimm dir ruhig einen ganzen Tag od soviel Zeit, wie du zu geben bereit bist, um deine eigene Gesellschaft zu geniessen und zu tun, was dir Spass macht (selbst wenn du das normalerweise mit einem Partner zusammen tust):



Solo-Tantra



 Gehe ins Kino od einkaufen, zum Volksfest od zu irgendeiner anderen Veranstaltung

 Spendiere dir ein üppiges Mittags- od Abendessen, zu dem du normalerweise einen guten Freund od einen Liebhaber/Geliebte einladen würdest.

 Erfülle bei dieser Verabredung mit dir selbst nach Möglichkeit all deine Wünsche und Bedürfnisse

 Beende den Tag mit einem intimen Abend, ab dem du dir selbst sexuelles Vergnügen schenkst

 Wenn du einen Partner hast, der diese Übung auch machen möchte, schlage ihm vor, ebenfalls zu einer solchen Solo-Verabredung zu gehen.

 Falls du in einer festen Beziehung lebst, verbringe in der nächsten Woche genau (od fast genau) den gleichen Abend mit deinem Partner/-in und überschütte ihn/sie mit der gleichen liebevollen Aufmerksamkeit (und den gleichen sexuellen Genüssen, falls ihr bereits intim miteinander seid).



Tantra zu zweit



Wenn du einen Sexualpartner hast, probiere einmal folgende einfache, aber sehr wirkungsvolle tantrische Übung mit ihm aus. Wenn ihr Kinder habt, ist es vielleicht besser, diese Übung erst zu machen, wenn die Kinder schon im Bett sind od wenn ihr einmal allein verreist:



 Duscht gemeinsam und praktiziert anschliessend 15 Minuten lang Yoga od Dehnungs- und Atemübungen

 Meditiert 10 Minuten lang gemeinsam (am besten bei Kerzenlicht). Schaltet dazu eine leise Musik ein, die ihr beide mögt.

 Umarmt und berührt euch vor dem Geschlechtsverkehr mindestens 10 Minuten lang. Streichelt Arme, Beine, Gesicht und Füsse des Partners – eine liebevolle Massage.

 Liegt während des Geschlechtsverkehrs bei Kerzenlicht mindestens 5 Minuten lang still und regungslos da und schaut euch einfach nur tief in die Augen. Denke dabei an deine Liebe zu deinem Partner/-in.

 Gestehe dir Befangenheit ein, die du dabei vielleicht empfindest, löse dich davon und versenke dich voller Liebe in die Augen deines Partners. Registriere alles, was an Gedanken und Empfindungen in dir aufsteigen, lasse es los und konzentriere dich wieder auf dein Gefühl der Liebe.

 Spüre das Geheimnis in den Augen deines Partners.

 Dabei siehst und empfindest du deinen Partner vielleicht irgendwann als göttliches Wesen und erlebst deine tiefe – persönliche und zugleich überpersönliche – Liebe, die im Stress des Alltagslebens oft untergeht.

 Achte darauf, ob bei dieser Übung irgendwelche Schlüsselprobleme od –erkenntnisse in dir aufsteigen, und sprich hinterher mit deinem Partner darüber.



Du kannst viel über deine Prioritäten, deine Beziehung zum Genuss, dein Selbstwertgefühl und den Grad an Intimität lernen, den du momentan verkraftest, wenn du diese beiden Übungen nicht machst und dich dann respektvoll fragst: Warum nicht? Und dir die Antwort reiflich überlegst.



Abschliessende Worte



Da Sexualität für uns eine so grosse emotionale und moralische Bedeutung hat, hast du dich beim Lesen dieses Kapitels sicherlich öfters getroffen gefühlt, wenn meine Worte deine Ansichten und Überzeugungen mit Füssen traten. Wenn das so ist und du trotzdem bis hierher weitergelesen hast, beglückwünsche ich dich dazu und respektiere deine Anschauungen und Wertvorstellungen. Ich bin überzeugt davon, dass jeder Mensch zu seinem eigenen Weg, seiner eigenen Religion und seiner eigenen Sexualität finden muss. Im sexuellen bereich muss – ebenso wie in der Politik, der Religion und bei den verschiedenen Geschmacksrichtungen von Eiscreme – schliesslich jeder selbst entscheiden, was am besten für ihn ist. In der Zwischenzeit erforsche die Realität deines jetzigen Lebens, respektiere deinen Entwicklungsprozess und lerne die Lektionen, die sich aus deinen Erfahrungen ergeben.



Beim Verlassen dieses Tors möchte ich noch einmal an seinen Titel erinnern: „Öffne dich für deine Sexualität“. Respektiere den Menschen, der du bist – ein einmaliger Persönlichkeitsausdruck in dieser Welt. Setze deine Reise leichteren Herzen fort, im Vertrauen darauf, dass deine Gedanken und Phantasien dazu beitragen, dich zu diesem einmalen Menschen zu machen. Und denken daran, dass der höchste Ausdruck der menschlichen Sexualität ein Schritt auf dem Weg der Erleuchtung im Alltag sein kann.



Blicke nun einmal auf die 10 Tore zurück, die du schon durchschritten hast, und mache dir bewusst, dass du das Leben jetzt aus einer umfassenderen Perspektive betrachtest. Nachdem du die Herausforderungen und Wunder des liebevollen Verkehrs mit deinem Partner und deiner Welt erkundet hast, bist du jetzt bereit, die Tiefen deines Herzens zu erforschen.

__________________________________________________________________________________

__________________________________________________________________________________

__________________________________________________________________________________

Das elfte Tor








Erwecke dein Herz






Die Liebe ist das grosse Geheimnis des Lebens. Sie überwindet Angst und Isolation und führt dich durch die Untiefen der Sentimentalität ans Ufer grenzenlosen Seins. Liebe lebt nicht von Worten od Gefühlen allen, sondern vom Handeln, das dich über die Interessen deines individuellen Ichs, über alle Gründe od Motive hinausträgt zu einer liebevollen Umarmung aller Menschen, Ding und Lebensumstände.






Herzensgüte beginnt mit kleinen Dingen, in Augenblicken der Demut und Einsicht, mit der Sehnsucht deiner Seele nach der innigen Verbundenheit der Liebe, die hinter dem Tor deines Herzens auf dich wartet. Du bist nicht hier, um mit deinem höheren Selbst Kontakt aufzunehmen – du bist hier, um es zu werden.






Die heilende Kraft der Liebe






Die Liebe ist nicht einfach da wie ein Stein; man muss sie machen, wie ein Laib Brot – immer und immer wieder neu.


UrsulaK.LeGuin






Landkarte:


Vorschau auf kommende Attraktionen






Unsere spirituelle Entwicklung hat etwas Geheimnisvolles: Sie erwächst aus deiner Verschmelzung von persönlichem Bemühen, Zeit und Gnade. Aber eines ist dennoch klar: Um die Verheissung deiner menschlichen Möglichkeiten zu erfüllen, musst du dein Herz erwecken. Aber was bedeutet das? Wenn die Liebe von Natur aus in deinem Herzen wohnt, was wirst du dann im Herzen der Liebe finden? Was ist die Quintessenz und der Ursprung der Liebe – Gott? Der GEIST? Ein Mysterium? Ein blosses Produkt unserer Phantasie? Nichts weiter als ein paar chemische Vorgänge in unserem Gehirn?, hat einmal gesagt:






Liebe ist Schwerkraft –


die universale Anziehungskraft, die jeder einzelne Körper in unserem Universum auf jeden anderen Körper ausübt, der alles vereinende Leim, der den Kosmos zusammenhält


und uns alle unweigerlich zur Quelle allen Seins zurückzieht.


BrianSwimme






Das symbolische Bild dieses Kosmologen – diese überweltliche Vision der Liebe – ist ein guter Ausgangspunkt, denn ohne diese umfassende Sichtweise lassen wir uns nur allzu leicht von den Hochstaplern blenden, die sich nur als Liebe ausgeben – von der Sentimentalität und den romantischen Wünschen kitschiger Liebesfilme, den verwelkenden Rosen und launischen Phantasiegebilden der Lust und Verliebtheit. Dein Herz erwecken, bedeutet nichts anderes, als Gefühle, die an bestimmte Bedingungen geknüpft sind, in bedingungslose Güte zu verwandeln – die heilenden Kräfte deines Herzens zu wecken, die dich über dein eigenes Ich hinausheben können, zu einer Liebe ohne Angst, ohne Grenzen, ohne Grund und ohne Verstand.






An diesem Tor werden wir neue Wege erforschen, wie man Liebe verstehen und leben kann. Je nachdem, wie gut du die Prinzipien der ersten 10 Tore verstanden hast (die die Rückeroberung deines Willens, die Bezähmung deines Geistes, das Akzeptieren deiner Gefühle, die Konfrontation mit deinen Ängsten und die inner Öffnung für deine Sexualität einschliessen), bist du nun auf den grossen Sprung mitten ins Herz vorbereitet – jenen Ort, wo Fleisch und Geist zusammentreffen. Der mythische Sprung des Liebenden ist kein Sprung nach unten, sondern nach oben, in eine intensivere Lebenserfahrung hinein.






In dem Masse, in dem du die Lektionen der bisherigen Tore, die alle zum Herzen hinführen, verinnerlicht hast, bist du nun bereit, eine neue Art des Liebens zu verkörpern, die nicht auf wechselhaften Gefühlen, sondern auf dauerhaftem Verhalten basiert. Du hast den Garten deiner Seele bestellt, den Boden bereitet und die Samen hineingelegt, sodass jetzt die Liebe in ihr erblühen kann. Niemand kann lernen od einen anderen Menschen lehren zu lieben, denn unser Geist hat kein Herz, und unser Herz hat keinen Verstand. Ich kann euch hier nur einen kleinen Liebesbrief schreiben, meine lieben Freunde und Leser, und euch die Wahrheiten enthüllen, die ich im Herzen des Lebens gefunden habe. Ich bin kein Heiliger – ausser in den Augenblicken der Liebe, in denen wir alle Heilige sind – aber die Fürsorge zwingt mich dazu, euch zu zeigen, wie ihr Liebe auf die Welt bringen könnt, so wie eine Hebamme ein neugeborenes Kind auf dieser Erde willkommen heisst.






Wenn wir von Liebe sprechen, kann sie sich als romantische Liebe od als Liebe zu einem Kind, einem Bruder, einer Schwester, einem Vater od einer Mutter, einem Freund, als Liebe zur Menschheit od zu Gott manifestieren. Die höchste Weisheit aller Zeitalter läuft letzten Endes immer wieder auf eines hinaus:






In allen Menschen und Dingen


und durch alle Menschen und Dinge Gott zu lieben,


ihm zu dienen und seiner zu gedenken.






Liebe bedingungslos, von ganzem Herzen – das ist alles, was du je lernen, tun und werden musst – an diesem Tor, in diesem Buch, in diesem Leben. Was für Fragen du auch haben magst – Liebe ist die Antwort. Aber Lieben ist nicht so einfach, diese Erfahrung hast du in deinem Leben auch schon gemacht. Unzählige Dichter, Philosophen, Psychologen und Romantiker haben die Liebe gepriesen und über sie diskutiert, von ihr geschwärmt und sie analysiert. Doch solange unser Herz nicht erwacht, ist Liebe nur ein leeres Wort, ein Rätsel, ein wünschenswertes Ziel, aber keine lebendige Realität. Oder wie BillMoyers einmal gesagt hat: „Selbst die Bibel ist ein verschlossenes Buch, wenn wir uns ihr nicht mit offenem Herzen nähren.“






Aber wie erweckt man sein Herz? Das ist die Frage. Willkommen am 11.Tor. der Gipfel ist in Sicht. An diesem Tor werden wir darüber nachdenken, warum man Mut braucht, um auf dieser Welt jemanden zu lieben. Wer werden der Frage nachgehen, wie und wann die Liebe ganz von selbst erblüht und auf der Basis dessen, was du bereits gelernt hast, Wege erkunden, wie man die Liebe am Leben erhalten kann – das heisst, wir werden ach dem Schlüssel zu dauerhaft liebevollen Beziehungen suchen. Im Mittelpunkt dieses Kapitels stehen






 Die Frage, wie du mit Hilfe deiner Willenskraft eine neue Art des Liebens erschaffen kannst, unabhängig davon, wie liebevoll deine Gefühle im Moment gerade sind;


 Methoden, dein Herz zu erwecken und mehr Liebe in die Welt zu bringen


 Und schliesslich eine Vorausschau auf kommende Veränderungen im globalen Bewusstsein, die sich in allen Bereichen der Gesellschaft auswirken werden, wenn unsere Herzen erwachen.






Liebe als Mut






Das ist nun einmal die bittersüsse Wahrheit des menschlichen Lebens: Der Weg zur Liebe ist nicht nur mit Rosenblättern, sondern auch mit Dornen übersäht. Am Ende deiner Reise wirst du alle Menschen und Dinge verlieren, die du je geliebt hast, deshalb erfordert es Mut, auf dieser Welt jemanden zu lieben. Du wirst die Liebe in der Sicherheit suchen, bis du entdeckst, dass es in der Liebe keine Sicherheit gibt und auch nicht zu geben braucht. Nur wenn du bereit bist, den Kummer und Schmerz des Verlustes zu riskieren, hast du genügend Vertrauen, um dein Herz der Freude zu öffnen.






Manche Menschen glauben, sich einen Seelengefährten, eine intime Beziehung zu wünschen, doch ein anderer Teil unserer Persönlichkeit möchte lieber sicher und geborgen in der Zitadelle der Isolation verharren. Als Einzelgänger kann man Distanz wahren, per Anhalter durch verschiedene Partnerbeziehungen reisen und sich beim ersten Anzeichen von Schwierigkeiten gleich wieder zurückziehen. Es erfordert Mut, den steinigen Landstrassen unserer Beziehungen zu trotzen. Es erfordert Mut, Kinder in die Welt zu setzen und zu lieben. Wir leiden unter jeder Krankheit, Verletzung und Enttäuschung, die einen geliebten Menschen trifft. Wir können nicht schlafen, wenn unsere Kinder Probleme haben, so intensiv fühlen wir ihren Schmerz mit.






Es ist viel sicherer, niemals jemanden zu lieben, denn dein Herz ist ein schlafender Riese voller Leidenschaft und Schmerz, Freude und Angst. Es ist sicherer, sich in der Rüstung deiner Einsamkeit zu verbergen wie eine Schildkröte in ihrem Panzer. Der einzige Preis, den du dafür bezahlst, ist deine Menschlichkeit.






So erfolgreich, mächtig od reich du auch sein magst – ein Leben ohne Liebe ist nur eine Schattenwelt. Als Psychologen erstmals wissenschaftliche Studien über Gewaltverbrecher durchführten, stellten sie fest, dass diese Kriminellen in ihrer Kindheit fast ausnahmslos keine elterliche Liebe erfahren und nicht einmal ein Tier gehabt hatten, um das sie sich kümmern konnten. Ohne Liebe verkümmern wir wie eine Blume ohne Wasser. Ob du verheiratet bist od nicht, ob du mit anderen Menschen zusammen od allein lebst, du brauchst in deinem Leben jemanden, den du lieben kannst, um die Verheissung des 11. Tors zu erfüllen. Ob das nun ein Ehepartner od Freund ist, Kinder, Eltern od Haustiere, spielt keine Rolle, sie alle können als Werkzeug dienen, um dein Herz zu erwecken.






Test:


Ein Blick in dein Herz






Denke einmal über folgende Fragen nach. Das wird dir Klarheit darüber verschaffen, was für eine Rolle die Liebe in deinem Leben spielt:






1. Was wäre dir lieber, wenn du die Wahl hättest: zu lieben od geliebt zu werden?


2. Denke einmal an 5 Menschen, die du in deinem Leben geliebt hast. Ordne diese Menschen nach dem Grad deiner Liebe in eine Skala von 1-5 ein. Wenn dir das schwer fällt – warum? Wenn es dir nicht schwer fällt: Warum hast du sie gerade so bewertet und nicht anders.


3. Kannst du auf jemanden wütend sein und ihn gleichzeitig lieben? Finde Argumente dafür – und dann dagegen.


4. Wenn es keinen Sex auf der Welt gäbe, wen würdest du dann lieben, und wie würdest du diese Liebe zeigen?


5. Interessiert dieses Tor dich mehr od weniger als die anderen? Warum?


6. Wann hast du das letzte Mal jemandem deine Liebe durch dein Verhalten gezeigt?


7. Wie wäre es, wenn du alle Menschen lieben würdest, denen du begegnest – den Verkäufer auf dem Markt, den Busfahrer od die Bankangestellte, egal, ob männlich od weiblich, jung od alt?


8. Gibt es einen Unterschied zwischen Liebe und Güte?


9. Was könntest du heute tun, um mehr Liebe in deine Welt zu bringen?






Auch bei diesem Test gibt es weder richtige noch falsche Antworten. Wir alle sind menschliche Wesen in Ausbildung, die die Kunst des Liebens gerade erst lernen. Wie bei allen Toren dient die Selbsterforschung lediglich als Realitäts-Check, damit du dich von Illusionen befreien, den Horizont deines Gewahrseins und deiner Selbsterkenntnis erweitern, Wüsten in Gärten verwandeln kannst. Diese innere Wandlung beginnt mit einem festen Vorsatz, erfordert aber auch Mut, Aufopferung und Geduld, um erblühen zu können. (Das erweckte Herz ist vielleicht noch nicht unbedingt der Himmel – aber du kannst ihn von dort aus sehen.)






Aufmerksamkeit und inneres Erwachen






In den alten spirituellen Überlieferungen Indiens und Chinas heisst es, dass unsere Aufmerksamkeit durch 7 aufeinander aufbauende Erfahrungs- und Bewusstseinsebenen aufsteigt.






Auf der untersten Erfahrungsebene wird sie von Problemen des Überlebens, der Sicherheit und der Angst in Anspruch genommen. Wenn du deine Aufmerksamkeit auf die unterste Ebene des Überlebens und der Angst richtest, manifestiert Liebe sich als Lust, zwanghafte Begierde und Ausnutzung.






Sobald die Überlebensprobleme gelöst sind, steigt unsere Aufmerksamkeit zur 2. Ebene auf: zwischenmenschliche Beziehungen, Vergnügen und Kummer. Sobald deine Aufmerksamkeit sich auf die 2. Ebene (Beziehungen und Kummer) konzentriert, manifestiert Liebe sich als romantische Sentimentalität und Sensibilität, als Wechselbad von Schmerz und Vergnügen, Streit und Versöhnung – der Stoff, aus dem die Liebesromane und Kitschfilme sind.






Auf der 3.Erfahrungsebene konzentriert sie sich auf Dinge wie Macht, Selbstdisziplin und Zorn. Wenn sich die Aufmerksamkeit auf die 3.Ebene der Macht und des Zorns konzentriert, manifestiert Liebe sich als die Frage, wer von beiden Partnern in einer Beziehung dominiert und als Kampf um Selbstdisziplin, aber auch als Pflicht und Treue. Wahrscheinlich hast du alle 3 Formen der Liebe schon irgendwann kennen gelernt.






Um diese 3 Erfahrungsebenen kreisen die Dramen unseres täglichen Lebens denen wir auch im Film und in der Literatur immer wieder begegnen: Überleben (Angst), Beziehungen (Kummer) und Macht (Zorn). Erste wenn du deine Probleme auf diesen 3 Schauplätzen gelöst hast, kann deine Aufmerksamkeit zur 4.Ebene menschlicher Erfahrung – Liebe und Dienst an der Welt – und die mystischen Bereiche aufsteigen, die jenseits davon liegen.






In den seltenen Augenblicken, in denen deine Aufmerksamkeit frei ist, kann dein Bewusstsein in dein Herz aufsteigen und sich dort als selbstloses Geben manifestieren – als jene Art bedingungsloser Liebe, wie Eltern sie manchmal für ihre Kinder empfinden. Aber die Aufmerksamkeit zentriert sich so selten fest und unerschütterlich in unserem Herzen (ohne immer wieder zu den Fragen und Problemen der unteren 3 Ebenen zurückgezogen zu werden), dass man Menschen, die anderen eine solche bedingungslose Liebe zeigen, als „Heilige“ bezeichnet. Dieser Sprung der Aufmerksamkeit von den unteren 3 Zentren ins Herz hinein ist es, was ich meine, wenn ich vom Erwecken deines Herzens spreche. Eigentlich ist ein solches Erwachen gar kein Sprung, sondern eher eine allmähliche Einkehr: Je mehr Augenblicke befreiter Aufmerksamkeit du erlebest, umso häufiger werden Wellen der Liebe dein Herz überfluten.






Denke daran zu lieben






Die Weisheit, die Kraft, der Mut, die Liebe, das Himmelreich – sie alle liegen in unserem eigenen Inneren. Wir vergessen es nur immer wieder: Wir vergessen, Zutrauen zu uns selbst zu haben. Wir vergessen zuzuhören, und wir vergessen, auf die Stimme des Höchsten und Besten in uns zu achten. Wir vergessen es, weil wir die ganze Zeit geschlafen, geträumt, gewünscht und gehofft haben, während die Liebe uns rief, schüttelte und aufzuwecken versuchte, die Jalousien hochzog und das Licht des Bewusstseins einliess. Jetzt ist es an der Zeit, unser Leben anzupacken und unsere gegenwärtige Realität zu akzeptieren, selbst wenn wir dabei gleichzeitig unseren höchsten Idealen nachstreben.






Das Erwecken deines Herzens versetzt dich in einen natürlichen, anmutigen, euphorischen Zustand vorbehaltloser Liebe, die an keinerlei Bedingungen geknüpft ist. Das bedeutet, dass du gar nicht anders kannst, als zu lieben, selbst wenn die anderen deine Liebe nicht erwidern. Es bedeutet nicht, dass du nun immer Liebe empfindest od alle Menschen liebst, sondern nur, dass du die Willenskraft in dir entdeckt hast, deine Mitmenschen mit Güte und Mitgefühl zu behandeln – unabhängig von deinen Gefühlen.






In deinen höchsten Augenblicken spürst du vielleicht tatsächlich ein tiefes Mitgefühl mit anderen Menschen; doch du kannst nicht auf wechselhafte Gefühle warten, die kommen und gehen wie ein launischer Liebhaber. Auf so etwas kann man sich nicht verlassen. Die romantische Liebe verwelkt wie eine Blume, es sei denn, du pflegst sie sorgfältig durch liebevolles Verhalten, so dass sie immer wieder neu erblüht.






Die Liebe beginnt bei dir selbst






Einer der seltsamsten Irrtümer, dem viele Menschen erliegen, besagt, dass es gut sei, andere Menschen zu lieben, während Eigenliebe etwas Schlechtes sei. Ich finde, dass eher das Gegenteil der Fall ist: Je mehr du diesen Aspekt des GEISTES, der dir aus dem Spiegel entgegenschaut, sehen, lieben und akzeptieren kannst, um so intensiver wirst du den GEIST auch in deinen Mitmenschen lieben können. Wenn wir alle ein und dasselbe Bewusstsein sind, das in Milliarden individueller Formen und Gestalten erstrahlt, dann beginnt jede Liebe mit der Liebe zum eigenen ICH. Wenn das Herz erwachen soll, kann es keine einzige Seele aus seiner allumfassenden Liebe ausschliessen – auch nicht dich selbst.


Wenn du dich selbst nicht liebst, wie kannst du dann den Raum in dir finden, um andere Menschen zu lieben?






Sich selbst zu lieben ist die Liebesübung für Anfänger, die Ausgangsbasis, um ein anderes Wesen – Mutter od Vater, Haustier, Freund od Partner – lieben zu lernen. Und von da aus geht es immer weiter: von der Familie bis hin zu Freunden, Kollegen, Geschäftspartnern und der grösseren Welt. Am besten beginnt man bei sich zu Hause, sich in Liebe zu üben, denn zu Hause wohnt das Herz, und dort sind normalerweise auch alle Schwierigkeiten und Probleme angesiedelt. Was gibt es für einen besseren Ort, uns in grundloser Liebe zu üben, als jenen, wo wir manchmal keinen Grund zum Lieben finden können?






Wenn es für dich momentan noch keine Priorität ist, dich in Liebe zu üben – wenn du dich lieber erst einmal mit anderen Toren beschäftigen möchtest, die dir dringlicher erscheinen und dir unmittelbarer am Herz liegen – dann tue es. Auch das ist ein Werk deines Bewusstseins. Liebe dich selbst genug, um dir deine Menschlichkeit zu verzeihen, und lass dich einfach so sein, wie du bist. Dann wird die Liebe ganz von selbst wachsen. Liebe intensiv genug, um auf den Entwicklungsprozess deines Lebens zu vertrauen.






Wie man die Liebe erhält






Manchmal lieben wir – und manchmal nicht. Da das Leben nur eine Serie von Augenblicken ist, die vor uns auftauchen und wieder verschwinden, kann kein Mensch einem anderen wirklich und wahrhaftig versprechen: „Ich werde dich immer lieben.“ Gefühle kommen und gehen, wandeln sich und verblassen – selbst das tiefste Engagement und die festesten Vorsätze. Vielleicht hast du gerade Kummer od bist wütend, doch du vergisst diese Gefühle vorübergehend, wenn dich etwas zum Lachen bringt od du dir über irgendetwas Gedanken machst, was du gerade siehst od hörst. Akzeptiere einfach die Realität, dass wir nur von Augenblick zu Augenblick existieren. Mache dir klar, dass Gefühle verblassen, wenn wir sie nicht immer wieder neu beleben, und nutze diese Erkenntnis. Vermeide es, unerwünschte Gefühle immer wieder neu zum Leben zu erwecken. Wenn dich ein geliebter Mensch verlässt, ist es vielleicht am klügsten, das lächelnde Foto vom Schreibtisch od von der Wand zu nehmen – zumindest solange, bis die Zeit deine offene Wunde geheilt hat.






Es ist durchaus sinnvoll, erfolgreiche Menschen zu beobachten, um herauszufinden, was für Eigenschaften und Verhaltensweisen sie miteinander gemeinsam haben, und diesem Vorbild dann nachzueifern. Wie du in dem Kapitel „Erobere deinen Willen zurück“ erfahren hast, kommt es im Leben nicht nur darauf an, wer du bist, sondern auch darauf, was du tust. Und wenn du das gleiche tust wie andere Menschen, erhöhst du die Chance, ähnliche Resultate zu erreichen.






Das gilt übrigens auch für Partnerbeziehungen. Denke einmal über die Charaktereigenschaften und Verhaltensweisen von Paaren nach, die schon lange zusammen sind, va, wenn sie sagen, dass sie immer noch verliebt und glücklich miteinander sind. ältere Ehepaare, die zB schon 60 Jahre miteinander verheiratet sind, haben gelernt, dass Liebe nicht nur etwas mit Sex zu tun hat – dass man die Liebe immer und immer wieder neu erschaffen muss. Da Liebe ebenso verblasst wie alle anderen Gefühle, kann man eine langjährige Beziehung nur dadurch nähren, dass man das Gefühl der Liebe immer wieder neu entfacht. Man kann sein Herz nicht nur ein einziges Mal erwecken, es muss immer wieder von neuem erweckt werden. Meine Erfahrungen, Beobachtungen und Nachforschungen zufolge haben Paare, die schon lange zusammen sind, einige od alle der folgenden Verhaltensweisen gemeinsam, mit denen sie ihre Liebe immer wieder neu zum Leben erwecken:






1. Du zeigst dem Partner deine Wertschätzung und Anerkennung mit lieben Worten und Komplimenten


2. Du hältst dich mit Nörgeleien und Kritik zurück (und wenn du doch einmal Kritik üben musst, tu es in sanfter, behutsamer, rücksichtsvoller Form).


3. Du küsst od berührst deinen Partner stets voller Fürsorge und Zuneigung – nicht nur beim Sex, sondern auch sonst.


4. Ihr seid stets treue Freunde, die sich gegenseitig unterstützen.


5. Du bringst deine Gefühle und Bedürfnisse zum Ausdruck.


6. Du sagst oft: „Danke“ od „Es tut mir leid“.


7. Du verzeihst dem anderen und bittest ihn auch um Verzeihung


8. Du kannst gut zuhören und achtest auf die Gefühle und Bedürfnisse deines Partners


9. Du betrachtest dich selbst mit Humor.


10. Die Bedürfnisse deines Partners sind für dich nicht wichtiger, od weniger wichtig, sondern genauso wichtig wie deine eigenen.


11. Du gehst im Sex liebevoll und einfühlsam auf deinen Partner ein und sprichst auch über deine sexuellen Wüsche und Bedürfnisse.


12. Du akzeptierst die Unvollkommenheit deines Partners, statt ihn beherrschen od verändern zu wollen, damit er so wird, wie du ihn dir wünschst.


13. Ihr habt jeder seine eigenen Interessen und Freund und ihr lasst dem Partner genügend Freiraum, um diesen Interessen nachzugehen; und anschliessend lässt du ihn an allem teilhaben, was du dabei erlebt hast.






Aus dieser Weisheit, mit der langjährige Lebenspartner das Licht ihrer Liebe am Leuchten erhalten, ergeben sich ein paar einfache Prinzipien, die auch du in deiner Partnerschaft befolgen kannst.






1. Vergiss nicht, deine Partner (Kinder) jeden Tag zu küssen od zu umarmen.


2. Wenn es angebracht ist, gönne dem (od den) Menschen, den du liebst, eine einminütige Rücken-, Nachen- od Fussmassage. (Kannst du eine Minute erübrigen, um die Liebe am Leben zu erhalten?)


3. Überlege dir für Geburtstage und Hochzeitstage und am Valentinstag immer etwas Besonderes und überrasche den geliebten Menschen auch ab und zu spontan mit einer Blume, einem Briefchen, einem Gedicht od Buch – einem konkreten Zeichen deiner Liebe.


4. So beschäftigt ihr auch sein mögt, va, wenn ihr Kinder habt – geht mindestens 1x/Woche miteinander aus, und wenn es auch nur für einen Spaziergang ist.


5. Wenn dein Partner böse auf dich od vielleicht auch nur deprimiert ist, stelle ihm Fragen, lasse ihn anschliessend sprechen und höre einfach nur zu.


6. Suche nach schätzenswerten Eigenschaften und Verhaltensweisen bei deinem Partner und lobe sie in freundlichen, liebevollen Worten.


7. Wenn du dich doch einmal über irgendetwas beschweren musst, benutze das Wort „ich“ (od „mir“) häufiger als das Wort „du“ – zB: „Es fällt mir schwer, damit zurechtzukommen“ statt „Du enttäuschst mich wirklich sehr, wenn du das tust“.


8. Bedanke dich bei jeder Gelegenheit bei deinem Partner, und entschuldige dich auch immer sofort, wenn du etwas falsch gemacht hast, und zwar nicht in allgemeinen Formulierungen, sondern sehr detailliert – zB: „Vielen Dank, dass du mir heute mein Lieblingsessen gekocht hast“ statt „ Ich danke dir dafür, dass du dir immer so viel Mühe gibst“; od „Es tut mir leid, dass ich Bernd das verraten habe, obwohl du mich gebeten hattest, es nicht zu tun“ statt „ Tut mir leid – ich rede einfach zuviel“.






Laut Meldungen der amerikanischen Forstverwaltung kann die Glut eines Feuers den ganzen Winter über unter der Schneedecke weiterschwelen, das gilt auch für die Glut einer Liebesbeziehung. Solange nur noch ein einziges Holzscheit glüht, kann ein Paar das Feuer der Liebe, das schon erloschen zu sein scheint, immer wieder neu entfachen. Manchmal wird die Liebe durch Kritik, Nörgeleien und ständige Herabsetzung des Partners erstickt od durch tausend kleine Verletzungen beinahe zum Erlöschen gebracht. Dann können Worte des Dankes und der Anerkennung, die Bitte um Entschuldigung und aufrichtige Vergebung das Feuer der Leidenschaft und Hingabe wieder neu entfachen.






Liebe als Tun






Reden ist leicht, aber Lieben schwierig. Dein Herz zu erwecken, erfordert mehr als nur sentimentale Gefühle od gute Absichten. Es erfordert Zeit, Energie und Aufmerksamkeit – du musst die Menschen, die du liebst, mit der gleichen Aufmerksamkeit behandeln, wie du sie einem Ehrengast erweisen würdest. Beziehungen kann man nicht auf blossen Worten od Gefühlen aufbauen. Wahre Liebe erschöpft sich nicht in Emotionen od schönen Worten, wahre Liebe bedeutet Tun. Deine Liebe ist stets nur so gross wie das, was du tust.






Du weisst inzwischen, dass du nicht mehr Kontrolle über dein Gefühle hast als über das Wetter. Du kannst dich nicht dazu zwingen, dich zu ver- od entlieben. Aber dein Verhalten kannst du steuern – du kannst dich einem anderen Menschen gegenüber gütig, aufmerksam und mitfühlend verhalten, selbst wenn du in diesem Augenblick gar keine Liebe für ihn empfindest. Das ist der Beginn der bedingungslosen Liebe und des Glücklichseins ohne Grund.






Die Worte „Liebe“ und „Glück“ drücken denselben Seinszustand aus, sie haben den gleichen physiologischen Fingerabdruck: Das heisst, bei beiden werden die gleichen Chemikalien in den Blutkreislauf ausgeschüttet. Wenn du liebst, bist du glücklich, und wenn du glücklich bist, hast du liebevolle Gefühle. Dein Herz zu erwecken bedeutet, ohne Grund und Verstand glücklich zu sein. Wenn du deinen Willen soweit meisterst, dass du liebevoll handeln kannst – dass du deinen Mitmenschen jederzeit Freundlichkeit und Mitgefühl entgegenbringen kannst, auch wenn du vielleicht momentan etwas ganz andere empfindest – dann entwickelst du die Fähigkeit des bedingungslosen Liebens.






Vorbehaltlose Liebe – und Liebe mit Vorbehalten






Liebe, die an bestimmte Bedingungen geknüpft ist, bringt man nur einem einzigen Menschen entgegen. Das ist das Anfangsstadium der Liebe. Eine solche Liebe kann positive Gefühle der tiefen, zärtlichen Achtung, Leidenschaft, Zuneigung und Sorge um den anderen einschliessen, die aus Hingabe, sexueller Begierde, Anziehungskraft, Sympathie od herzlicher persönlicher Anhänglichkeit entspringen, doch all diese Gefühle können im Lauf der Zeit auch wieder verblassen.






Bei der Eheschliessungszeremonie geloben wir, einander zu lieben und zu ehren, bis dass der Tod uns scheidet, doch solche Versprechungen sind unrealistisch. Frage nur einmal geschiedene Ehepaare, die meisten werden es dir bestätigen. Da die an Bedingungen geknüpfte Liebe eine persönliche Liebe ist – gebunden an bestimmte Eigenschaften, das Aussehen od andere Merkmale eines ganz speziellen Menschen – kann diese Liebe wieder verblassen, sobald die Eigenschaften, das Aussehen od die sonstigen Merkmale des geliebten Menschen sich verändern od verschwinden.






Solange wir uns nicht von dieser „Liebe mit Vorbehalten“ zur vorbehaltlosen Liebe weiterentwickeln, werden die Regale der Buchhandlungen immer voller Ratgeber für leidende, mit Beziehungsproblemen kämpfende Paare sein, die sich fragen, ob sie zusammenbleiben sollen od nicht, weil ihre Partnerschaft ihnen keine Erfüllung schenkt.






Bedingungslose Liebe hingegen kennt keine Grenzen, Einschränkungen od Bedingungen. Sie liebt ohne Grund und Verstand, gleichgültig, ob sie auf Gegenliebe od auch nur auf Wertschätzung stösst. Sie fordert nichts und gibt, was sie kann. Eine solche Liebe kann zäh und hartnäckig od zart und empfindlich sein, aber sie ist stets voller Güte. Für sie ist das Leben anderer Menschen genauso viel – nicht mehr und nicht weniger – wert wie das eigene.






Diese bedingungslose Liebe umfasst gleichzeitig die Seelen aller Menschen, selbst wenn man nur mit einem einzigen Partner zusammenlebt. Alle Menschen zu lieben, bedeutet nicht unbedingt, dass man mit allen sexuellen Kontakt haben muss. Beim 10.Tor haben wir bereits gesehen, dass Sexualität unserer spirituellen Entwicklung am förderlichsten ist, wenn wir sie in einer festen, dauerhaften Beziehung ausleben. Aber wir können auch Freunden, Bekannten und anderen Mitgliedern unserer menschlichen Familie gleichermassen Liebe entgegenbringen, ohne das Heiligtum unserer wichtigsten Beziehung zu gefährden – die einzige Domäne sexueller Intimität.






Der wichtigste Schauplatz und die wichtigste Schule bedingungsloser Liebe ist die Elternschaft. Jene Worte, die schon Millionen Male mit feierlichem Ernst bei der Eheschliessung ausgesprochen wurden, treffen eigentlich viel eher auf unsere Liebe zu unseren Kindern zu. Unsere Kinder lieben wir heftig und leidenschaftlich, von ganzem Herzen, in Freud und Leid, egal, ob sie reich od arm, krank od gesund sind – bis dass der Tod uns scheidet. Unsere Kinder lehren uns das Lieben viel mehr, als wir es sie lehren können.






Wenn du auch nur einen einzigen Menschen mit inbrünstiger, aufopfernder, bedingungsloser Grossmut lieben kannst, dann kannst du viele Menschen lieben. Du musst nur lernen, das Netz deiner Liebe weit genug auszuwerfen, sodass es alle Menschen als deine Kinder, deine Brüder und Schwestern einschliesst. Das ist keineswegs nur eine idealistische Wunschvorstellung, sondern ein Vorgeschmack und eine Prophezeiung deiner Bestimmung.






Unpersönliche Liebe:


eine erste mystische Übung






Wahre Liebe ist selten, aber es gibt sie, und zwar nicht nur im Märchen. Jeder Mensch hat schon Augenblicke bedingungsloser (selbstloser) Liebe – des reinen Altruismus – erlebt. Eine solche Liebe zieht dich zu höheren Ebenen der Erfahrung empor, wo Fleisch und Geist einander begegnen, wo du mit deinem höheren Selbst in Verbindung trittst, das in den alten Überlieferungen beschrieben wird. Deshalb ist Liebe die erste mystische Übung.






Überpersönliche Liebe ist ein Widerspruch zwischen 2 Ideen, die auf den ersten Blick unvereinbar zu sein scheinen. Überpersönlich bedeutet ja „ über das Persönliche hinausgehend od jenseits des Persönlichen liegend“, während wir Liebe normalerweise als etwas sehr Persönliches empfinden. (Wie würde es klingen, wenn du deinem Partner erklärtest: „Ich liebe dich, aber das hat nichts mit dir persönlich zu tun!“)? Überpersönliche Liebe lässt uns über unser Ich – unsere von allen anderen Menschen getrennte Individualität – hinauswachsen. Aus der Perspektive dieses Bewusstseins betrachtest du alle Seelen mit Liebe und hüllst sie in einen Mantel der Güte und des Mitgefühls ein. In deiner Frau liebst du alle Frauen, in deinem Mann alle Männer, in deinen Kindern alle Kinder, in deinen Freunden alle Menschen dieser Welt. In solchen Augenblicken, in denen dieses Gewahrsein dein Herz erweckt, entdeckst du in dir die Willenskraft, trotz deiner wechselnden Stimmungen, Gefühle od Neigungen stets liebevoll zu handeln.






Liebe und Willenskraft






Die Brücke deiner Willenskraft verwandelt die Liebe aus etwas, wonach du suchst, in etwas, was du anderen Menschen schenkst. Statt von wechselhaften Gefühlen abhängig zu sein, baust du dein Leben auf mit fühlendem Verhalten auf. Denn wie du inzwischen schon weißt, sind Gefühle wankelmütig und unbeständig. Empfindungen der Leidenschaft, des inneren Engagements und der sexuellen Begierde können in Gleichgültigkeit, Eifersucht, ja sogar Feindseligkeit umschlagen. Wahre Liebe kann nicht warten, bis du in der richtigen Stimmung dafür bist, sie wird durch das Feuer deines Handelns entfacht. Wenn du anderen Menschen Liebe zeigen und sie gütig und mitfühlend behandeln kannst, ob dir nun danach zumute ist od nicht, so hast du den Gipfel menschlicher Reife erlangt. Das bedeutet nicht, dass du dich dann wie ein Heiliger benimmst und nur noch süsse Worte von deinen Lippen strömen, sondern dass selbst dein Zorn, deine Kritik, deine Traurigkeit und andere ganz normale Gefühle, die du vielleicht äusserst, in aufrichtiger Liebe wurzeln. Wenn deine Frau, dein Kind, dein Freund od Partner dich anschreit od dir Vorwürfe macht, wirst du wahrscheinlich in diesem Augenblick weder Liebe noch Mitgefühl für sie empfinden, trotzdem hast du dann immer noch die Kraft, dich ihnen gegenüber gütig und freundlich zu verhalten.






Wenn du den Weg der Erleuchtung im Alltag gehst, sind Liebe, Glück und das Erwecken deines Herzens keine passiven Gefühle mehr, auf die du hoffst od wartest od die du dir wünschst. Denn dann verwandelt Liebe sich in Tun, Glück wird zu einer Verhaltensweise. Du liebst ohne Grund und verhältst dich wie ein Mensch, der unvernünftig glücklich ist.






Sei grundlos glücklich.






Natürlich muss man sich an ein solches Verhalten erst einmal gewöhnen. Ich kann nur wiederholen: Um dein Herz zu erwecken, brauchst du nicht dauernd liebevolle Gefühle zu haben (und das kannst du auch gar nicht) – du musst dich nur liebevoll und gütig verhalten. Auch die Heiligen haben manchmal Zorn, Kummer und Angst empfunden, da kein Mensch seine Gefühle unter Kontrolle hat, aber sie sprachen und handelten stets mit Liebe, und das machte sie zu Heiligen. Immer wenn du dich gütig verhältst, obwohl dir gar nicht danach zumute ist, hast du dich für diesen Augenblick in den Zustand der Heiligkeit erhoben.






Darin besteht das grosse Geheimnis der Liebe: Treue und Ergebenheit ist nichts, was man empfindet, sondern etwas was man tut – und Güte, Freundschaft und Ehrlichkeit ebenso. Deshalb ist Liebe die erhabenste und schwierigste Disziplin, die es gibt.






Es ist schon ein bisschen peinlich,


sich ein Leben lang mit dem Problem des Menschseins beschäftigt zu haben,


nur um am Ende herauszufinden, dass man den Menschen nur einen einzigen Rat geben kann:


„Versuche, ein bisschen gütiger zu sein.“


AldousHuxley






Liebe als spirituelle Übung






Ohne Herzensgüte gibt es keine Spiritualität. Allein in deinem Zimmer zu sitzen und über ein blaues Licht od die höchste Wahrheit zu meditieren bringt dir viel weniger, als von Augenblick zu Augenblick eine offene, aufgeschlossene Beziehung zum Leben herzustellen. Erleuchtung im Alltag ist in erster Linie eine liebevolle Umarmung des gegenwärtigen Augenblicks. Eine solche Liebe kann man im täglichen Leben praktizieren – beim Einkaufen od Busfahren, bei der Zubereitung des Abendessens od bei der Zusammenarbeit mit Kollegen od Kunden.






Am 5.Tor – Bezähme deinen Geist – hast du gelernt, dass du es bis zu einem gewissen Grad unter Kontrolle hast, wohin du deine Aufmerksamkeit lenkst. Diese Fähigkeit kannst du auch dazu einsetzen, deine Stimme, deinen Tastsinn, dein Sehen, dein Hören, ja sogar deine Gedanken zu einer Form der spirituellen Übung im Alltag zu machen.






Dein Herz ist nicht einfach nur ein Muskel in deiner Brust, es ist gleichzeitig auch das mystische Zentrum der Liebe. Natürlich kannst du mit und aus deinem ganzen Körper und sein heraus lieben, doch fast alle Kulturen, assoziieren Liebe mit dem Herzen. Dieser gleichmässig schlagende Muskel, der das Leben durch deinen Körper pumpt, ist das Zentrum der Liebe. Selbst Kinder wissen das schon. Vor ein paar Jahren sass ich bei einem gemeinsamen Abend mit Freunden einmal neben einem 3 jährigen Jungen. Wir lauschten der Musik eines Cellovirtuosen. Einem plötzlichen Impuls folgend, frage ich den Jungen, wo er diese Musik spüre. „Hier“ sagte er ganz klar und berührte seine Brust. „Ich spüre sie hier.“






Das Herz ist die Visitenkarte Gottes. Es schlägt im Rhythmus des Geheimnisses von Leben, Hoffnung, Inspiration und Liebe. Normalerweise richtest du deine Aufmerksamkeit nicht auf dein Herz, sondern auf deine Gedanken und dein Tun. Wenn du deine Aufmerksamkeit beim Sprechen, Sehen, Hören, Berühren od Denken auf dein Herz konzentrierst, so ist das bereits eine einfache Form der Meditation, um dein Herz zu erwecken.






Von Anfang an war die Befreiung deiner Aufmerksamkeit ein wichtiges Thema dieses Buches. Darin besteht das Ziel der 12 Tore – nicht nur als Selbstzweck, sondern damit die befreite Aufmerksamkeit in dein Herz aufsteigt, so dass du ganz natürlich aus dem Herzen heraus sprechen, denken, hören, berühren und handeln kannst. Solange du solche Au8genblicke nicht spontan erlebst, kannst du den Weg der Erleuchtung im Alltag gehen, indem du deine Aufmerksamkeit auf dein Herz richtest und erlebst, wie die Liebe erwacht.






Übung:






 Statt dich auf diese Buchseite od auf deine Gedanken zu konzentrieren, richte deine Aufmerksamkeit gleich jetzt in diesem Augenblick auf dein Herz. (Vielleicht hilft es dir am Anfang, wenn du die Hand darauf legst.)


 Spürst du eine feine, kaum merkliche Veränderung der Qualität deines Gewahrseins, wenn du dir deines Herzen bewusst wirst? Achte einmal auf diese geläuterte Form des Fühlens, die über Angst, Kummer und Zorn hinausgeht.


 Denke daran: Das ist keine schwierige od esoterische Übung, sondern ein ganz einfacher Akt des Gedenkens, zu dem du jederzeit und in jeder Situation in der Lage bist.






Es ist in vielen alten spirituellen und mystischen Traditionen überliefert, dass wir die Liebe und Inspiration unseres höheren Selbst zuerst im Herzzentrum erfahren und dort mit ihr in Verbindung treten – nicht in den darunterliegenden Körperregionen. Wie schon gesagt: Die Liebe ist der beginn aller mystischen Übungen. Wenn wir lieben, regt sich in uns zum ersten Mal ein Gespür für die Einheit, für das überpersönliche Leben, und die Sprache der spirituellen Lehren – von der Bibel bis hin zur Bhagavad-Gita – beginnt plötzlich einen Sinn zu ergeben. Deshalb kann diese einfache Übung die Qualität deines Lebens verändern – wenn du daran denkst, sie regelmässig zu machen.






Nachdem du ein paar Mal geübt hast, deine Aufmerksamkeit auf dein Herz zu richten, bist du bereit für die folgenden mystischen Übungen, die dir helfen sollen, dein Herz zu erwecken.






Aus dem Herzen heraus sprechen






Wenn du 2 Gitarren (od andere Saiteninstrumente) nebeneinander legst und an einer Gitarre zB die D-Saite zupfst, beginnt auch an der Gitarre daneben die D-Saite zu vibrieren. Dieses Phänomen, das man als Resonanz od Mitschwingung bezeichnet, existiert auch bei der menschlichen Stimme, und zwar folgendermassen: Wenn du aus dem Kopf heraus sprichst (d.h.: deine Aufmerksamkeit auf deine Gedanken richtest), versetzt du damit das Denken anderer Menschen in Resonanz. Wenn du dagegen aus dem Herzen heraus sprichst (d.h.: wenn deine Aufmerksamkeit sich auf dein Herz konzentriert), bringst du das Herz deiner Mitmenschen zum Schwingen. Dieser bewusste, wohlüberlegte Akt – dass du daran denkst, beim Sprechen, Visualisieren, Sehen, Berühren od Zuhören deine Aufmerksamkeit auf (od in) dein Herz zu richten – spiritualisiert deine Sinne. Dieser Akt der Gefühlsaufmerksamkeit ist eine der wichtigsten Übungen zur Erleuchtung im Alltag.






Es ist überhaupt nichts dagegen einzuwenden, aus dem Verstand heraus zu sprechen. Wenn dich zB jemand um eine Information bittet, wirst du wahrscheinlich darüber nachdenken (d.h.: deine Aufmerksamkeit auf deinen Verstand richten) und auch aus dem Verstand heraus antworten.






Doch wenn du aus dem Herzen heraus sprichst, baust du eine Brücke der Liebe und des Verständnisses zwischen dir und einem anderen Menschen auf, du verbindest dein höheres Selbst mit dem seinen. Dieses Sprechen aus dem Herzen heraus ist nicht etwa nur etwas Sentimentales od Persönliches, sondern eher etwas Überpersönliches. Du brauchst dabei keinen besonderen Tonfall anzunehmen, du kannst ganz normal, nüchtern und sachlich mit den Leuten sprechen. Die Qualität deiner Gefühlsaufmerksamkeit bewirkt den Unterschied. Das ist zwar eine ganz einfache Übung, aber für viele Menschen ist sie neu, und deshalb möchte ich die wichtigsten Punkte an dieser Stelle noch einmal zusammenfassen:






 Richte deine Aufmerksamkeit auf dein Herz – spüre dein Herz


 Sprich ganz normal, und bleibe dir dabei deines Herzens bewusst


 Mit anderen Worten: Während du sprichst, verbindest du deine Stimme mit deinem Herzen und erfüllst sie mit Gefühlsaufmerksamkeit






Als ich dieses Sprechen aus dem Herzen heraus erlernte, war es für mich eine Übung od Technik zu Erweckung meines Herzens, genau wie ich es dir jetzt empfehle. Doch inzwischen kann ich gar nicht mehr anders, als aus dem Herzen heraus zu sprechen, es ist mir in Fleisch und Blut übergegangen, da meine Aufmerksamkeit immer mehr in meinem Herzen wohnt. Wenn ich Vorträge od Seminare halte, referiere ich zwar vielleicht Informationen, über die ich geschrieben habe, dennoch haben meine Worte eine ganz besondere Wirkung, und das liegt daran, dass ich aus dem Herzen heraus spreche – es findet ein Übertragung von Herz zu Herz statt, die weit über den eigentlichen Inhalt meiner Worte hinausgeht.






Diese mystische Übung kannst du in dein tägliches Leben und deine tägliche Arbeit integrieren – ob du nun mit deinen Kindern, Freunden, Kunden, Nachbarn od mit dem Verkäufer im Lebensmittelladen sprichst. Während du scheinbar nur einkaufst, Produkte od Dienstleistungen verkaufst od an Besprechungen teilnimmst, kann deine Stimme Teil einer geheimen, unterschwelligen spirituellen Bewegung werden, die die Herzen anderer Menschen berührt und gleichzeitig dein eigenes Herz erweckt: Du kannst dadurch mehr Liebe in die Welt hineintragen. Wenn du diese Technik beherrschst, wirst du nie wieder nur Unterricht geben, verkaufen, Menschen trainieren, managen, etwas bauen od jemanden beraten, vielmehr wird deine Arbeit und dein Leben für andere Menschen zu einer Quelle des Lichts und der Liebe werden.






Inneres Sprechen:


Aus dem Herz heraus visualisieren






Sobald du dir deines Herzens bewusst wirst, bist du nicht mehr auf die Sprache beschränkt. Du kannst auch eine Verbindung zwischen deinem Herzen und deinen Gedanken herstellen und anderen Menschen innere Worte – zB heilende Wünsche od einen Segen – senden. Mit diesem inneren Sprechen kannst du die Grenzen von Zeit und Raum überwinden. Du kannst einem Menschen ganz in deiner Nähe (der im selben Zimmer sitzt od neben dir schläft) eine innere Botschaft der Liebe und des Wohlwollens senden, aber auch jemandem, der Tausende von Kilometern von dir entfernt ist, jemandem, der im Koma liegt od sogar jemandem, der schon verstorben ist. Die Methode ist genau die gleiche, wie beim verbalen Sprechen:






 Richte deine Aufmerksamkeit auf dein Herz. Spüre es.


 Stelle dir die Person (od die Personen), die du mit deiner Botschaft erreichen möchtest, in Licht eingehüllt vor.


 Denke od sprich innerliche Worte wie: „Ich liebe dich, ich unterstütze dich, Gott segne dich.“ Auf den genauen Wortlauf kommt es dabei gar nicht so sehr an – wichtig ist nur, dass du an dein Herz denkst und es spürst, während du deine Wünsche übermittelst.






Weiss ich mit 100%iger Sicherheit, dass deine Worte einen verstorbenen Menschen erreichen werden? Nein. Sicherer bin ich – aufgrund von eigenen Erfahrungen und Berichten vieler anderer Menschen, die diesen einfachen Akt der Liebe praktiziert haben – allerdings, dass lebende Menschen deine Botschaft erhalten werden, ob sie nun ganz in der Nähe sind od am anderen Ende der Welt. Vielleicht empfangen sie sie nicht bewusst; aber ich habe schon zu oft plötzlich aus heiterem Himmel einen Anruf bekommen und zu häufig erlebt, wie schwierige Beziehungen plötzlich wieder in Ordnung kamen, um an der Wirksamkeit dieser Methode zweifeln zu können. Natürlich musst du sie selbst ausprobieren und deine eigenen Erfahrungen damit machen. (Synchronisation).






Aus dem Herz heraus sehen






„Mit den Augen des Herzens sehen“ war für mich früher eine poetische Metapher – bis ich lernte, wie man es macht:






 Richte deine Aufmerksamkeit auf dein Herz. Spüre es.


 Und dann betrachte die Welt mit den Augen des Staunens und der Liebe






Das kannst du gleich jetzt tun, indem du dir deines Herzens bewusst wirst und alles, was du siehst, mit den Augen des Herzens betrachtest. Das kann ein Baum, ein anderer Mensch od ein zerknülltes Stück Paper auf dem Fussboden sein. Du kannst ein Auto od ein Gebäude betrachten und dabei an die Mühe, Kreativität und harte Arbeit denken, die Menschen aus den verschiedensten sozialen Schichten und Berufen aufbringen mussten, um aus den Rohmaterialien, die die Erde uns liefert, solche Wunderwerke zu schaffen. Denke an den Mut, die Energie und das hingebungsvolle Engagement, die dazu notwendig waren. Und wenn du ein Werk der Natur betrachtest – einen Stein, einen Baum od eine Wolke- dann denke daran, wie und von wessen hand diese Dinge erschaffen wurden.






Es gibt auch noch eine andere Methode, eine Verbindung zwischen Herz und Augen herzustellen und dadurch spirituell mit einem anderen menschlichen Wesen in Kontakt zu treten. Denke zunächst einmal darüber nach, wie kurz wir anderen Menschen normalerweise in die Augen schauen. Vielleicht werfen wir einen flüchtigen Blick zu ihnen hinüber. Doch dann wenden wir unsere Augen rasch wieder ab – od wir sehen sie an, ohne etwas dabei zu fühlen. Das ist merkwürdig, denn unsere Augen sind wirklich und wahrhaftig die Fenster unserer Seele. Um neu sehen zu lernen, solltest du einmal folgende Übung ausprobieren und beobachten, was für eine Wirkung sie hat:






 Stelle Blickkontakt mit einem anderen Menschen her. Das muss kein langer Blickwechsel sein und auch kein gekünsteltes Hinüberstarren, und du musst dich dabei auch nicht um einen besonderen Gesichtsausdruck bemühen. Entspanne und öffne dich einfach und stelle eine Verbindung zwischen deinem Herzen und deinen Augen her.


 Wenn eure Blicke sich begegnen, lass diesen Menschen durch deine Augen dein Herz sehen. Versuche dabei nicht, Liebe od irgendetwas anderes aus deinen Augen zu ihm hinüberzuprojizieren. Es handelt sich hier um eine rezeptive Übung, bei der du dein Herz spürst, deine Augen öffnest und einer anderen Person Einblick in die Liebe und das Mitgefühl gewährst, das du für sie als mitmenschliches Wesen empfindest.


 Um es noch einmal zu betonen: Dies ist kein persönlicher Flirt, sondern eine überpersönliche Übung. Es spielt keine Rolle, ob der Mensch, mit dem du Blickkontakt aufnimmst, männlichen od weiblichen Geschlechts ist. Aus dem herzen heraus zu sehen – andere Menschen durch deine Augen dein Herz sehen zu lassen – schlägt eine Brücke zwischen 2 Seelen, in der sich unser gemeinsames Menschsein widerspiegelt.






Andere Menschen aus dem Herzen heraus berühren






Es ist kein Zufall, dass wir sagen, wir seinen innerlich „berührt“ od „gerührt“, wenn uns etwas zu Herzen geht. Der Tastsinn – unser Bedürfnis, zu berühren und berührt zu werden – spielt für unser psychisches, ja sogar für unser physisches Überleben eine wichtige Rolle. Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass Affenbabys, die ohne Berührungen aufwachsen, verkümmern od gar sterben, und das gleiche kann auch mit menschlichen Kleinkindern passieren. Du kannst deinen Tastsinn folgendermassen spiritualisieren:






 Richte deine Aufmerksamkeit auf dein Herz. Spüre es.


 Bewahre dir dieses Herzensbewusstsein, während du einen anderen Menschen berührst.






Spielt es wirklich eine Rolle, ob du dir deines Herzens bewusst bist, wenn du jemandem die Hand gibst od ihn auf andere Art und Weise berührst? Diese Frage kannst du nur aufgrund deiner eigenen Erfahrung beantworten. Ich vermute, dass du den Unterschied in deinem eigenen Herzen spüren wirst, in der Qualität deiner Aufmerksamkeit und Verbindung zu diesem anderen Menschen. Und er wird ihn ebenso spüren.






Aus dem Herzen heraus zuhören






Viele Buddhisten glauben, dass man durch intensives Lauschen – allein idem man zuhört – Leiden lindern kann. Dieses Lauschen aus dem Herzen heraus ist für viele Menschen vielleicht die wichtigste Übung. Für viele von uns ist Zuhören nichts anderes als eine Chance, darüber nachzudenken, was wir als nächstes sagen werden, während unser Gegenüber spricht. Die meisten Menschen haben schon lange, bevor sie schwerhörig werden, Probleme mit dem Zuhören. Wir vergessen die Namen anderer Leute sofort wieder, weil wir sie überhaupt nicht richtig gehört haben – weil wir mit unserer Aufmerksamkeit woanders waren. Mit der folgenden Übung kann man Beziehungen intensivieren, reparieren, ja unter Umständen sogar retten:






 Richte deine Aufmerksamkeit auf dein Herz. Spüre es.


 Stelle durch diesen Akt der Aufmerksamkeit ganz bewusst eine Verbindung zwischen deinem Herzen und deinen Ohren her.


 Richte deine Gefühlsaufmerksamkeit auf deine Ohren (statt auf deine Gedanken) – höre einfach zu.






Auch wenn die anderen Menschen es vielleicht nicht immer bewusst registrieren – ein Teil von ihnen weiss doch, ob du wirklich zuhörst od nicht. Aufmerksamkeit, die von Herzen kommt – die Worte deines Gegenübers in diesem Augenblick als das Wichtigste auf der Welt zu betrachten – ist eines der grössten Geschenke, die du deinen Mitmenschen machen kannst. Damit bietest du ihnen Wertschätzung und Bestätigung und machst ihnen Mut, sich dir zu öffnen und dir ihre Wahrheit zu enthüllen.






Wenn du wirklich aus dem Herzen heraus zuhörst, hast du dabei keinerlei Werturteile, Erwartungen od Meinungen. Du betrittst die Welt der anderen Menschen, ohne von ihnen zu verlangen, dass sie auch die deine betreten. Und ohne zu wissen, warum, werden sie dich wahrscheinlich als einen der charmantesten Unterhalter empfinden, den sie je kennen gelernt haben.






Das heilende Herz






Diese einfachen, angenehmen Übungen, mit denen du dein Herz mit deiner Stimme, deinen Gedanken, deinen Augen, deinem Tastsinn und deinem Gehör verbinden kannst, sind spirituelle Praktiken, durch die zwischenmenschliche Beziehungen sich emotional heilen lassen. Wenn deine Aufmerksamkeit in deinem Herzen ruht, hat sie sich über Angst, Kummer und Zorn erhoben. Durch diese aus tiefstem Herzen kommenden Übungen kann deine Aufmerksamkeit sich über die Stürme deines Gefühlslebens in den unendlichen Raum der Liebe hinein aufschwingen. Ob du ihre Wirkung auf andere Menschen nun registrierst oder nicht – ihre Wirkung auf dein eigenes erwachendes Herz wirst du bald zu spüren bekommen.






Liebe heilt alle Menschen:


nicht nur diejenigen, die sie empfangen,


sondern auch diejenigen, die sie geben.


Dr.KarlMenninger






Herzen, Blumen und globale Veränderungen






Wenn dein Herz erwacht und dein Gefühl der Trennung und Isolation von anderen Menschen zu verblassen beginnt, werden dir viele Veränderungen in deiner Wahrnehmung und deinem Verhalten auffallen.






Von individuellen Unterschieden zum gemeinsamen Menschen






Die Menschen, die du früher als Freunde betrachtet hast, werden für dich nun zu Mitgliedern der menschlichen Familie, zu der auch du selbst gehörst. Während du dir unseres vielfältigen globalen Erbes verschiedenster Religionen, Kulturen und Rassen – der Schatzkammer unserer menschlichen Weisheit – bewusst bist und es auch akzeptierst und zu würdigen weißt, wirst du doch über diese Unterschiede hinaussehen und auf den tieferen Ebenen unseres gemeinsamen Menschseins mit anderen in Verbindung treten.






Selbst wenn wir verschiedene Sprachen sprechen und unterschiedliche Sitten und Gebräuche, Religionen und Rituale haben, gibt es doch unendlich mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede zwischen uns. Sobald deine Wahrnehmung sich verändert, wirst du in jedem menschlichen Wesen deinen Bruder od deine Schwester sehen – Menschen, die sich gemeinsam mit dir auf dieses Abenteuer des Lebens eingelassen haben, die nach einem Sinn und einem Ziel, nach Glück und Liebe suchen – die dieselbe Mutter Erde miteinander teilen, morgens dieselbe Sonne aufgehen und abends wieder untergehen sehen, dieselben Rhythmen der Natur und des menschlichen Lebens spüren. Menschen, die genau wie du ihre Kinder lieben, nachts unter demselben Mond und Sternenhimmel sitzen, nachdenken, träumen und an ihrer Lebensgeschichte weiterspinnen.






Von der Konkurrenz zur Kooperation






Sobald dein Herz für die Einheit zwischen allen Menschen erwacht, wirst du dich zwar nach wie vor um herausragende Qualität und Spitzenleistungen bemühen, aber du wirst die Freude am Konkurrenzdenken verlieren. Statt dessen wirst du mit wachsendem Engagement mit anderen Menschen auf gemeinsame Ziele hinarbeiten. Diese Veränderung wird dir nicht von aussen aufgezwungen werden, sondern von innen heraus kommen – sie erwächst nicht aus abstrakten philosophischen od politischen Ideen, sondern aus einem realistischen Verständnis dafür, wie wir im neuen Jahrtausend gemeinsam überleben und erfolgreich sein können. Der natürliche Impuls, uns als starke, einmalige Individuen in kooperativen Gemeinschaften zusammenzutun, wird zur Entstehung neuer Sportarten und Spiele, Institutionen, Lebens- und Handlungsweisen führen, in denen sich die Weiterentwicklung unseres Bewusstseins und Verhaltens, unserer Wahrnehmungen und Wertvorstellungen widerspiegelt.






Von der persönlichen zur überpersönlichen Liebe






So viele Lieder und Bücher über romantische Liebe kreisen um die Befriedigung des eigenen, von allen anderen Lebewesen getrennten ICHs. Die Verheissung des 11.Tores – die überpersönliche Liebe – ist jedoch die Erkenntnis, dass in anderen Menschen das gleiche Bewusstsein lebt wie in dir selbst. Natürlich lieben wir auch nach wie vor unseren Lebensgefährten, unsere Kinder, unsere Angehörigen und Freunde, aber wir leiben unsere grösser4e menschliche Familie nicht weniger. Unsere Liebe ist nicht mehr einigen wenigen Menschen vorbehalten, sondern wird zu einer Lebensweise.






Überpersönliche Liebe ist die Erkenntnis, dass jede Seele:






 Nach Glück sucht,


 Leid zu vermeiden versucht.


 Wie wir Kämpfe gegen Angst, Unsicherheit und Selbstzweifel zu bestehen hat,


 Nach einem grösseren Sinn und Zweck und einer tieferen Verbundenheit mit der Welt und den anderen Menschen strebt


 Wie wir Berge zu erklimmen hat


 Allmählich die Wahrheit entdeckt, dass wir alle gemeinsam Schüler auf diesem Planteten Erde sind.






Eine solche Serie von Erkenntnissen erweckt das Herz aus seinem Schlaf. Die Liebe durchbricht die Mauern der Uneinigkeit und des Getrenntseins. Zersplitterung weicht der Einheit, und so entsteht eine transzendente Weltsicht, die darauf beruht, dass die ganze Schöpfung miteinander verbunden ist. Dann wirst du irgendwann alle Menschen und alles Leben als ein und dasselbe Bewusstsein wahrnehmen: das LICHT Gottes, das sich in Milliarden von Einzelgeschöpfen manifestiert und durch uns alle scheint. Du kommst endlich zu der Erkenntnis, dass du dieses LICHT bist.






Selbst nach diesem inneren Erwachen wird die Alltagswelt mit all ihren Herausforderungen sich wieder vor dir auftun. Doch mit dem 11.Pfeil der Erleuchtung in deinem Köcher bist du nun bereit, der Welt alles zurückzugeben. Denn ein Herz, das die Liebe zum Leben erweckt hat, wendet sich ganz von selbst dem Dienst an der Welt zu.






Liebe und tue, was du willst


HeiligerAugustus